Nathanael
Krieger Gottes. Wenn das Schicksal der Menschheit auf dem Spiel steht, ist mein Leben dagegen bedeutungslos. Wir wurden einzig zu dem Zweck geboren, unseren Vätern gegen die dunkle Armee beizustehen, denn ihr Aufenthalt in der sterblichen Welt ist begrenzt, während wir unser ganzes Leben hier verbringen können. Es ist mein Schicksal. Von Gott bestimmt.»
Tessa forschte in seiner Miene. Er glaubte tatsächlich an seine Worte. Sie schwieg.
Nathanael war stark, das hatte sie selbst erlebt, sagte sie sich. Jemand wie er starb nicht einfach. Aber sie wusste nicht mehr, was sie denken sollte. Ihre Welt stand Kopf. Alles, woran sie bislang geglaubt hatte, war nur ein Teil einer viel größeren, dunkleren Welt, die sie lieber nicht kennengelernt hätte.
Ehe sie weiter über seine Worte nachdenken konnte, hielt Aaron den Wagen in einem dunklen Hinterhof an, direkt vor einer Eingangstür. An der Holzfassade blätterte überall die Farbe ab, die Fensterscheiben waren blind vom Staub. Drinnen brannte rotes Licht, was ihm den Touch eines Bordells verlieh.
Sie sah Nathanael fragend an. «Das ist nicht dein Ernst.» In dieser verlassenen und dunklen Ecke New Yorks sollte sie sicher sein? In einem dubiosen Etablissement? Da hatte sie ihre Zweifel.
«Sieht schlimmer aus, als es ist. Aber hier bist du sicher, das ist alles, was zählt.» Nathanael stieg aus und öffnete ihr die Tür. Er wollte sie aus dem Wagen heben, als Tessa zögerte.
«Es geht schon.» Sie schob seine Hand beiseite und kletterte vorsichtig aus dem Fond.
«Wirklich?»
Tessa nickte, ergriff dann doch seine Hand, die er ihr entgegenstreckte, weil ihre Beine flatterten. Sofort spürte sie wieder dieses Kribbeln auf der Haut, das sich jedes Mal einstellte, wenn er sie anfasste.
Seine Hand war kräftig und strahlte Wärme aus, genau wie sein Blick. Wie mochte es sein, seine Hände auf anderen Körperstellen zu spüren? Nackten Körperstellen. Ihr Puls gewann erneut einen Rekord.
Tessa hielt seine Hand weiter fest, selbst nachdem sie den Wagen verlassen hatte. Er schob sie durch die Tür, die Aaron geöffnet hielt.
Ein plötzlicher Gedanke: Sie hatte noch nie darüber nachgedacht, ob er vielleicht gebunden war. Weil du dir eine andere Frau an seiner Seite nicht vorstellen willst , höhnte ihre innere Stimme. Vielleicht fände sie hier eine Gelegenheit, um mit ihm zu reden. Bald würde auch Steven aus Europa zurückkehren, und wenn er sie nicht anträfe oder keine Nachricht vorfände, die Polizei alarmieren. Was würde geschehen, wenn sich die beiden Männer begegneten? Sie musste dringend Klarheit schaffen.
Lautes Stimmengewirr schlug ihr entgegen, als sie die Bar betrat. Die Luft war zum Schneiden dick und es roch nach Zigarrenrauch und Alkohol. Die Innenausstattung der Bar war genauso wenig ansprechend wie ihre Fassade. Tessas Blick überflog den Innenraum, in dem nur eine Handvoll Tische standen, um die auf bunt zusammengewürfelten Plastikstühlen Männer und Frauen saßen. Die meisten von ihnen in Schwarz gekleidet, und Tessa hatte das Gefühl, sich auf einem Gothic-Treffen zu befinden.
Einige von ihnen waren in ein Gespräch vertieft oder spielten Karten. Bei ihrem Eintreten sahen alle auf. In ihren Augen lag ein Ausdruck von Neugier und Argwohn zugleich. Ihr entging nicht, mit welch interessierten Blicken die weiblichen Gäste Nathanael und Aaron bedachten. Die begehrlichen Blicke missfielen ihr, während die beiden Männer sich unbeeindruckt zeigten.
«Hallo, Nathan, auch mal wieder hier?» Eine Blondine erhob sich von einem der vorderen Tische und stolzierte mit übertriebenem Hüftschwung auf ihn zu. Ihr Rock war für Tessas Geschmack viel zu kurz. Die Blondine taxierte sie kurz und hob die Brauen, als wolle sie Tessa in ihre Schranken weisen. Tessa ignorierte sie.
«Wo steckt Cynthia?», fragte Nathanael.
Die Blondine zog einen Schmollmund. «Sie ist wie immer hinten. Was willst du denn von der?»
Nathanael antwortete nicht, sondern ging nach einem kurzen Nicken weiter und zog Tessa mit sich. Während sie die Bar durchquerten, herrschte Stille. Tessa spürte die Blicke in ihrem Rücken. Sie warf einen Blick über die Schulter zurück und sah, dass Aaron zurückblieb und auf die Blondine zusteuerte.
Kaum war die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen, hörten sie die lauten Stimmen in der Bar. Tessa war zur Attraktion des Abends erklärt worden.
«Mach dir nichts draus. Sie starren jeden Menschen an. Die kommen nicht oft hierher», raunte
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