Nathaniel und Victoria, Band 2: Unter höllischem Schutz (German Edition)
silberner Schild. Ihr Leuchten war so stark wie nie zuvor. Jede Faser ihrer zierlichen Gestalt war angespannt, während sie sich Lazarus herausfordernd entgegenstellte. Ich konnte nicht glauben, dass dieser zarte Engel einen Dämon von Lazarus' Größe zu Boden gefegt hatte.
Lazarus' bedrohlicher Blick richtete sich auf Seraphela. Ein triumphierendes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.
»Victoria!«, drängte Sera mit schneidender Stimme. »Zurück in die Höhle!«
Noch bevor ich reagieren konnte, erfüllte ein neues Grauen die Luft und eine Gestalt erschien an Lazarus' Seite. Es war eine alte Frau. Sie trug die altmodische Tracht einer Bäuerin, mit einem Kopftuch über ihren grauen Haaren. Sie stand gebückt und ihr Gesicht war eingefallen und voller Falten. Ihr Mund bewegte sich, doch es kam kein Ton heraus. Ich konnte sehen, dass ihr alle Zähne fehlten.
Düsternis ging von ihr aus, wie schleichender Nebel, der alles um sich herum verschlang. Ich fühlte schmerzhafte Stiche auf meiner Haut und eine unheimliche Kälte drang in mich ein. Nichts, was ich jemals gefühlt hatte, weder von den Inferni noch von Lazarus, war mit dieser Finsternis vergleichbar. Als die alte Frau mich ansah, zuckte ich zusammen. Ihre Augen waren blutrot. Sie blinzelte nicht, sondern starrte mich einfach an, während ihr zahnloser Mund lautlose Worte formte.
»Victoria!« Seraphelas panische Stimme drang durch diesen düsteren Sumpf zu mir durch. »Flieh! Schnell!«
Doch ich stand wie festgefroren hinter ihr. Wellen der Panik schwappten über mich. Ich konnte nichts anderes tun, als aus weit aufgerissenen Augen zu beobachten, wie Seraphelas silbernes Licht angstvoll flackerte.
»Du hast mich angegriffen«, knurrte Lazarus, seine Stimme voller Genugtuung. »Ein Gefühlsengel, der einen Dämon angreift … das ist verboten, Silberlöckchen … du weißt, welche Strafe darauf steht!«
»Seraphela!« Ramiels entsetzte Stimme durchschnitt die Dunkelheit.
»Geh!«, flehte Sera voller Panik. »Bitte, Victoria!«
Lazarus verschmolz mit den Schatten. Ich konnte die Vibrationen spüren, die plötzlich von der alten Bäuerin ausgingen. Irgendetwas Schreckliches geschah hier. Die alte Frau streckte ihren Arm nach Seraphela aus. Starr vor Entsetzen sah ich, wie der Körper des Engels in die Luft gehoben wurde, bis sie über dem Boden schwebte, unfähig, sich zu bewegen.
Ich hörte Ramiel Seraphelas Namen schreien und ich hörte Lazarus' grausames Lachen. Eine entsetzliche Ahnung stieg in mir auf …
Das ist eine Hinrichtung!
In diesem Augenblick geschah das Unvorstellbare.
Seraphelas silbernes Licht wurde aus ihrem Körper gezwungen. Es wurde von der alten Frau aufgesaugt, bis es in ihrer unendlichen Schwärze verschwunden war.
Ramiels markerschütternder Schrei weckte mich aus meiner Starre. Seraphelas zierlicher Körper schwebte wenige Schritte von mir entfernt über dem Boden, glanzlos, matt, die herrlichen Schwingen kraftlos, wie von unsichtbaren Fäden gehalten.
Die alte Frau ließ ihre Hand sinken. Ihr Blick brannte sich in mein Innerstes. Ich konnte nicht reagieren. In starrem Entsetzen erwartete ich, dass sie ihre Hand abermals heben und mir ebenfalls das Leben nehmen würde.
Doch ihr intensiver Blick dauerte nur einen kurzen, schrecklichen Moment … dann war die alte Frau verschwunden, so plötzlich wie sie erschienen war, und mit ihr dieser Sumpf aus Grauen und Finsternis.
Lazarus' bösartiges Lachen hallte durch den Wald. Er deutete eine spottende Verbeugung in meine Richtung an, wie nach einem gelungenen Theaterstück, und ein triumphierender Ausdruck glänzte auf seinem Gesicht. Dann verschwand auch er.
Die Atmosphäre veränderte sich schlagartig. Der düstere Nebel verschwand, zurück blieb nichts als die Stille der Nacht.
Und Seraphelas Körper, der reglos vor mir schwebte.
Augenblicke vergingen, in denen alles stillstand. Ich fühlte mich, als wäre mein Herz versteinert. Mein Verstand konnte nicht fassen, was geschehen war, und ich spürte es kaum, als sich Ramiels Hände um meine Schultern schlossen.
»Steh auf«, flüsterte er hohl und zog mich auf die Beine.
Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass ich auf die Knie gesunken war. Mein Blick hing gefesselt an dem reglosen Engel. Plötzlich schoss die Erkenntnis wie ein Blitz durch meinen Verstand.
»Nein!«, schrie ich und riss mich von Ramiel los. Ich rannte auf Seraphelas Körper zu, keuchend und stolpernd, und hörte nicht auf Ramiel, der versuchte,
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