Nathaniel und Victoria, Band 2: Unter höllischem Schutz (German Edition)
manövrieren?
Nathaniel zog die Brauen hoch. »Du würdest dich wundern.«
Ich fuhr zur Universität und parkte wie immer neben dem Park, der vor der alten Kirche lag. Melinda Seemann war in ihrem Büro in der Bibliothek gerade mit ein paar Unterlagen beschäftigt, als wir eintraten.
»Was für eine angenehme Überraschung.« Sie lächelte und bot uns ihre weiße Ledercouch an. Hinter ihr schwebten bunte Fische scheinbar schwerelos im Aquarium.
»Was kann ich für euch tun?«
Ich ließ mich auf das glatte Leder sinken und wartete darauf, dass Nathaniel seine Frage formulierte. Doch Nathaniel interessierte sich viel mehr für die Papiere auf Melindas Tisch. Es waren Fotokopien alter Schriften.
Melinda nickte. »Wie du siehst, habe ich euch bereits erwartet.«
Ich starrte überrascht zwischen den beiden hin und her.
»Hast du etwas herausgefunden?«, fragte Nathaniel in ernstem Ton.
Melinda blätterte die Papiere durch. »Ja. Aber ich fürchte, es wird euch nicht gefallen.«
»Einen Moment«, sagte ich. »Woher wussten Sie, dass …?«
Melinda hob den Kopf. »Wen solltet ihr sonst fragen?«
»Ich habe es ihr noch nicht erzählt, Melinda«, sagte Nathaniel.
»Was erzählt?«, fragte ich verständnislos.
Nathaniel wechselte einen Blick mit Melinda. Dann wandte sie sich an mich.
»Du weißt, dass ich eine Erdengängerin bin?«, fragte sie.
Ich nickte. »Sie waren früher ein Engel. Aber jetzt sind Sie … ein Mensch.«
»Das ist richtig. Was weißt du sonst noch über Erdengänger?«
»Adalbert Kaster hat mir nur erzählt, dass die Erzengel mit der Verwandlung zu tun haben.«
»Natürlich kennt Adalbert sich damit aus.« Sie zwinkerte Nathaniel zu. »Erzengel können Engel zu Erdengängern machen. Aber an die Verwandlung ist eine Bedingung geknüpft.«
»Was für eine Bedingung?«, fragte ich.
»Es ist eine Aufgabe, zu deren Erfüllung sich der zukünftige Erdengänger verpflichten muss.« Melinda lächelte, doch es war ein kaltes Lächeln. »Die Erzengel verraten uns vor der Verwandlung nicht, um welche Aufgabe es sich handelt.«
»Dann ist es eine Art blinder Handel? Sie zwingen euch, euch auf etwas einzulassen, von dem ihr vorher nicht einmal wisst, was es sein wird?«, fragte ich entsetzt.
»Sie zwingen uns zu gar nichts«, erwiderte Melinda ruhig. »Jeder Engel kennt diese Regel und weiß, dass er sich auf das Unbekannte einlässt. Außerdem kommt es sehr selten vor, dass die Erzengel einer Verwandlung zustimmen. Sie tun es nur, wenn sie selbst einen Vorteil daraus haben. Wenn sie einen Auftrag haben, den dieser Engel für sie auf der Erde erfüllen soll.«
Mir brannten zwei Fragen auf der Zunge. Ich biss mir auf die Lippen.
Melinda lächelte. »Du möchtest wissen, was mein Auftrag war.«
Ich nickte zögernd.
»Es gibt Aufträge, die eine einzige oder mehrere Taten beinhalten«, erklärte Melinda. »Und es gibt Aufträge, die ein ganzes Leben brauchen, um erfüllt zu werden.«
Ich blickte sie überrascht an. »Ein ganzes Leben?«
»So wie mein Auftrag.« Melinda deutete auf das Büro um sie herum.
»Ihr Auftrag lautet … in einer Bibliothek zu arbeiten?«, fragte ich verständnislos.
Melinda lachte. Selbst Nathaniel wurde aus seinen Gedanken gerissen und schmunzelte.
»Melinda ist das, was wir eine Chronistin nennen«, erklärte er. »Sie sammelt und bewahrt Informationen über die Welt der Engel. Und sie ist die Beste, die ich kenne.«
Melinda nickte zum Dank für Nathaniels Anerkennung.
»Wozu brauchen die Erzengel denn eine Chronistin?«, fragte ich stirnrunzelnd. »Sollten sie nicht … ähm … allwissend sein?«
Nathaniel lachte über meinen Gedanken, den ich aus Respekt nicht laut ausgesprochen hatte.
»Nein«, antwortete Nathaniel grinsend. »Erzengel werden mit dem Alter nicht vergesslich. Und sie sind auch nicht allwissend, was Seraphelas Schild uns bewiesen hat. Aber vor allem sind die Erdengänger nicht allwissend. Sie sind häufig auf die Hilfe der Chronisten und anderer Erdengänger angewiesen.«
»Soll das heißen, die Erzengel postieren Erdengänger in strategisch wichtigen Positionen, damit sie bei Bedarf auf sie zugreifen können?«
»Genau so ist es«, nickte Nathaniel. »Und die Gegenseite tut das Gleiche.«
Mein Mund klappte auf. »Luzifer …?«
»Glaubst du, dass all die wohltätigen Organisationen oder Drogenkartelle und Waffenhändler allein auf euch Menschen zurückzuführen sind?« Melinda runzelte die Stirn. »Die Erzengel und Luzifer nutzen die
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