Nathaniel und Victoria, Band 2: Unter höllischem Schutz (German Edition)
Erde bloß als eine weitere Bühne, um ihre Schlachten auszufechten.«
Ich starrte Melinda an. »Und werden Sie nie von Dämonen angegriffen? Ich habe auch noch nie Inferni hier in der Bibliothek gesehen … abgesehen von denen, die ich selbst hier hereingeschleppt habe«, fügte ich zähneknirschend hinzu. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie merkwürdig diese Tatsache war.
»Haben Erdengänger etwa auch Schutzengel, die die Inferni und Dämonen fernhalten?«
Das war offenbar eine absurde Frage, denn Melinda lachte wieder.
»Nein, Erdengänger haben keine eigenen Engel. Die Erzengel haben aber dafür gesorgt, dass ich über genügend andere Arten von Schutz verfüge, um mich gegen die Dämonen zu wehren. Noch hat sich kein Dämon in die Nähe dieser Mauern gewagt und ich werde es auch niemals so weit kommen lassen«, sagte sie entschieden. »Eine meiner mächtigsten Waffen trägst du übrigens um deinen Hals, Victoria.«
Meine Hand fuhr zu dem Anhänger, der unter meinem Shirt an meiner Haut lag. Der Erzengelanker.
»Warum haben Sie einen Anker von Uriel?«, fragte ich leise. »Vom Dunkelsten aller Erzengel?«
Melindas strahlend blaue Augen fixierten mich und sie schwieg.
»Das ist eine Sache zwischen mir und Uriel«, sagte sie schließlich. Sie klang nicht verärgert, aber es war klar, dass das Thema damit erledigt war.
»Möchten Sie ihn zurückhaben?«, fragte ich schüchtern und nestelte bereits an der Kette, doch Melinda hob abwehrend die Hand.
»Behalte ihn«, sagte sie. »Ich habe das Gefühl, dass du ihn dringender brauchst als ich.«
Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Nathaniel ihr kaum merklich zunickte, dankbar für den zusätzlichen Schutz, den die Kette für mich bedeutete.
»Darf ich Ihnen noch eine Frage stellen?«, sagte ich und stopfte die Kette wieder unter mein Shirt. »Warum haben Sie sich für ein Leben als Erdengängerin entschieden?« Ich betrachtete Nathaniels Schönheit, seine golden glitzernden Schwingen, spürte seine zurückhaltende Stärke und ich konnte mir nicht vorstellen, was jemanden dazu bewegen konnte, all das aufzugeben … für ein Leben als Mensch.
Melinda erwiderte nichts. Wortlos streckte sie die Hand aus und drehte einen weißen Rahmen herum, der vor ihr auf dem Tisch stand. Ich betrachtete das Bild.
Es war ein Familienfoto. In der Mitte des Bildes saß Melinda auf einer Bank, neben ihr ein weißhaariger Mann und zu ihren Füßen ein paar Kinder. Hinter Melinda standen mehrere Erwachsene, die ihre Arme umeinander gelegt hatten. Sie alle sahen glücklich aus.
»Ich verstehe«, murmelte ich leise.
»Und genau deshalb«, sagte Melinda und rückte das Foto ihrer Familie wieder zurecht, »wusste ich, dass ihr zu mir kommen würdet.«
Ihr Blick wanderte zu Nathaniel und wurde ernst.
»Ich bin dabei, alle bekannten Fälle, die dem euren ähneln, aufzuspüren. Alle, die jemals dokumentiert wurden.«
Ich warf einen Blick auf die Fotokopie der alten Schrift, die vor Melinda auf dem Tisch lag. Sie war in einer fremden Sprache geschrieben, deren Schriftzeichen mir nicht bekannt vorkamen.
»Was hast du herausgefunden?«, fragte Nathaniel.
Der Ausdruck auf Melindas Gesicht gefiel mir gar nicht. »Bis jetzt habe ich keinen einzigen Fall gefunden, der nicht mit einer Unverzeihlichen Tat geendet hätte«, sagte sie. »Die Fälle unterscheiden sich nur darin, wie lange die Unverzeihliche Tat hinausgezögert werden konnte. Manche haben sogar einige Jahre geschafft.«
»Jahre?«, wiederholte ich. »Und die Erzengel sehen einfach zu?«
»Ein Jahr, ein Augenblick … Zeit hat nicht dieselbe Bedeutung für sie wie für Sterbliche.«
»Aber dann verstehe ich nicht, warum Seraphela den Schild überhaupt erschaffen hat«, sagte ich. »Sie hat immer so getan, als stünden Nathaniel und ich kurz vor einer Katastrophe …«
»Was Seraphela geleistet hat, war außergewöhnlich«, sagte Melinda. »Einen Schild genau im richtigen Augenblick zu erschaffen und so lange aufrechtzuerhalten … sie war ein bemerkenswerter Engel. Ich bezweifle, dass ich dazu fähig gewesen wäre.«
Ich stutzte überrascht. »Waren Sie ein Gefühlsengel?«
Melinda lächelte, doch sie antwortete mir nicht.
»Unterschätzt die Gefahr nicht«, warnte sie schließlich und legte ihre Hand auf die Schrift. »Alle wussten, dass sie von den Erzengeln beobachtet wurden und dass keine Unverzeihliche Tat geschehen durfte. Und trotzdem ist es in allen Fällen dazu gekommen.«
Ich wechselte einen nervösen Blick mit
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