Nathaniel und Victoria, Band 2: Unter höllischem Schutz (German Edition)
Schweigen ertönte Arianas spöttische Stimme von weit unten. »Was für eine Selbsterkenntnis!«
Chrissy verdrehte die Augen. »Das ist kein Scherz! Passt auf!«
Das Kichern der Mädchen schallte zu uns herauf.
»Dann eben nicht«, murmelte Mark und stapfte los. Ich folgte ihm und warf Nathaniel einen beunruhigten Blick zu.
»Die Wildschweine sind weg«, sagte er, hielt sich jedoch dicht an meiner Seite und breitete seinen Flügel um mich.
Hat Lazarus sie geschickt? Was bezweckt er damit?
Nathaniel antwortete nicht. Er behielt die Umgebung im Auge, während wir Anne einholten.
»Keine Sorge um deine Freunde«, murmelte Nathaniel. »Die besessenen Tiere haben es auf dich abgesehen.«
Oh, gut. Das beruhigt mich wirklich.
Nathaniel rang sich ein grimmiges Lächeln ab.
»Wir sind fast da!«, ertönte Annes Stimme von oben. »Mittagspause!«
»Na, endlich«, stöhnte Mark hinter mir.
Wir schafften es um den nächsten Felsvorsprung und fanden uns auf einer kleinen Lichtung wieder, die Herr Wagner für unsere Rast ausgewählt hatte. Ich setzte mich zu Anne auf ihren Regenschutz, während sich Mark und Chrissy neben uns auf die Wiese fallen ließen. Anne kramte ihr Mittagessen aus ihrem Rucksack hervor. »Wildschweinwurst, irgendjemand?«
Chrissy rümpfte die Nase und ich lachte.
Anne blickte uns fragend an. »Was ist denn los?«
Während Mark von dem Wildschweinangriff berichtete, kniete Nathaniel neben mir nieder.
»Die Lichtung ist groß, hier gibt es weit und breit kein dunkles Versteck für sie. Du bist hier sicher«, sagte er. »Ich werde die Umgebung durchsuchen. Nur für den Fall, dass Lazarus einen ganzen Zoo hergeschickt hat.«
Ich biss mir auf die Lippen.
»Ich gehe nicht weit weg«, versprach er. »Ich werde sofort bei dir sein, wenn du mich rufst.«
Pass auf dich auf.
Ein zärtliches Funkeln erschien in seinen Augen, dann war er verschwunden.
Während wir aßen, wanderte mein Blick immer wieder den Waldrand entlang, auf der Suche nach Nathaniel.
»Ich wurde noch nie von Wildschweinen angegriffen!«, sagte Anne entsetzt. »Wir sollten es Herrn Wagner sagen.«
»Machen wir. Vielleicht drehen wir dann um und gehen wieder nach Hause? Es ist nämlich wirklich saukalt hier.« Chrissy schüttelte ihre buschigen, roten Haare. »Ehrlich, wer veranstaltet denn bitte einen Wandertag im Oktober?«
»Willst du meinen Pullover haben?«, bot Mark an.
»Packt eure Sachen ein!« Herr Wagners Stimme schallte quer über die Lichtung. »Abmarsch in zehn Minuten!«
»Was?« Chrissy klang entrüstet. »Wir sind doch gerade erst angekommen!«
»Die anderen sind schon seit einer halben Stunde hier.« Anne kaute auf ihrem Wurstbrot herum. »Ich sage ja, ihr seid zu langsam.«
Ich stopfte meine Wasserflasche zurück in den Rucksack. »Passt du kurz auf?«, fragte ich Anne leise. »Ich komme gleich wieder. Du weißt schon …«, fügte ich hinzu, damit sie nicht auf die Idee kam, mich zu begleiten. Ich sprang auf und lief in Richtung Waldrand.
»Pass auf die Wildschweine auf!«, rief Mark mir nach.
Das goldene Schimmern am Rand der Lichtung, das meine Aufmerksamkeit erregt hatte, verschwand zwischen den Bäumen. Ich folgte Nathaniel in den Wald hinein. Die Stimmen auf der Lichtung wurden immer leiser, bis ich sie nicht mehr hören konnte. Doch Nathaniel bewegte sich noch weiter in das Dickicht. Ich musste mich beeilen, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren.
»Wohin gehen wir?«, rief ich leise.
Anstelle einer Antwort verschwand Nathaniels Schimmer hinter dichtem Gebüsch. Ich zögerte, doch weit und breit waren keine besessenen Tiere zu sehen. Also kämpfte ich mich durch die Sträucher, immer weiter fort von meinen Freunden, immer tiefer in den Wald hinein. Plötzlich fand ich mich auf einem Felsplateau wieder, nahe einer steil abfallenden Felswand.
Jetzt verstand ich, warum Nathaniel mich hierhergebracht hatte. Der Ausblick war ähnlich atemberaubend wie der von unserer Burgruine. In der tiefen Schlucht, die vor mir lag, konnte ich einen rauschenden Fluss hören. Nathaniel stand mit dem Rücken zu mir am Rand der Felsplatte.
»Es ist wunderschön«, flüsterte ich.
Er antwortete nicht, drehte sich nicht einmal um.
»Nathaniel?«, fragte ich verwundert. Ich trat auf ihn zu, fasste ihn an der Schulter und – schrie erstickt auf.
Er war nicht Nathaniel.
Lazarus stand mir gegenüber, mit einem entsetzlichen Ausdruck in seinen schwarzroten Augen. Ich stolperte zur Seite und verlor auf den glatten
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