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Nathaniels Seele

Titel: Nathaniels Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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euresgleichen überschwemmt worden war und wir nicht mehr ausweichen konnten, sprach man uns mit dem Vertrag von Fort Laramie Land zu. Wir dachten, es gäbe endlich so etwas wie Frieden, aber im Laufe der Jahrzehnte wurde das Gebiet, das man uns gnädigerweise zugewiesen hatte, immer kleiner und kleiner. Das war kein Leben für uns, also zogen wir weiter und landeten hier. In den Wäldern Montanas.“
    Josephine fühlte ein leeres Gefühl in ihrer Magengrube. „Ist es wahr, was Jacob sagte?“, flüsterte sie. „Dass es euch verglichen mit den anderen Stämmen noch gut erging?“
    Seite an Seite überquerten sie die Wiesen, gingen über die Brücke und hielten auf den Waldrand zu. Obwohl Argwohn in Josephine erwachte, war ihr Drang, mehr zu erfahren, stärker als ihre Vorsicht. Die Nähe dieses Mannes, seine Rätselhaftigkeit und sein Anblick erfüllten sie mit einer abenteuerlustigen Verwegenheit.
    „Ja“, antwortete Nathaniel. „Es gelang uns erfolgreicher als allen anderen, für unsere alte Lebensweise zu kämpfen. Aber die Gunst des Schicksals erweckte auch Neid. Es gab eine Zeit, in der wir von allen Seiten bedrängt wurden. Von den Weißen, den Cheyenne und den Sioux. Trotzdem blieben wir stark. Ja, es geht uns gut, und wenn ich an die Bilder aus manch anderen Reservaten denke, geht es uns sogar sehr gut.“
    „Was für Bilder?“
    „Menschen aus einem einst stolzen, freien Volk, die ihrer Wurzeln beraubt wurden und jetzt auf radioaktiv verseuchtem Land leben, in dem alles dahinsiecht und stirbt, ohne dass es jemanden kümmert. Armut. Korruption und Geldgier bei den weißen Verantwortlichen. Kinder, die mit Diabetes auf die Welt kommen. Oder mit Behinderungen, weil ihre Mütter sich während der Schwangerschaft mit Alkohol abfüllen. Die Zustände sind schlimm, trotzdem streicht die Regierung die Subventionen für die Reservate jedes Jahr um mehrere Tausend Dollar. Vermutlich brauchen sie das Geld dringender für militärische Zwecke.“ Er schnaufte verbittert. „Gegen diese Zustände anzukämpfen, ist unmöglich. Ich habe es versucht. Die Seelen dieser Völker wurden ein für alle Mal zerstört. Sie sind zersplittert, auseinandergerissen. Wenn sie aufbegehren, dann nur in kleinen Gruppen, nicht als Einheit. Vielleicht werden sie irgendwann zu ihrer früheren Stärke zurückfinden, aber das passiert ganz sicher nicht in dieser Wirklichkeit.“
    Josephine nickte langsam. „Wie lebt ihr bei euch im Dorf?“
    „Interessierst du dich wirklich dafür?“
    Nathaniel formulierte es ohne Vorwurf. Ein Lächeln trat in sein Gesicht, das seine Augen funkeln und seine Züge strahlen ließ. Da war er wieder, der sanfte Mann aus jener Nacht des Unwetters. Konnte sie ihm trauen? Wie lange würde er diesmal bleiben, bevor sein Gemüt dem wortkargen Sonderling das Feld überließ?
    „Ja. Ich würde es gern wissen.“
    „Irgendwann zeige ich es dir. Jetzt ist mir nach Abkühlung.“
    Nathaniel nickte hinüber zum See, der zwischen den Tannen aufgetaucht war. Lockeren Schrittes hielt er darauf zu, wählte eine Stelle nahe den Felsen und legte die Decke auf den Boden. Etwa zwanzig Schritte entfernt erkannte Josephine die Reste des Lagerfeuers, an dem er kaum zwei Stunden zuvor etwas zelebriert hatte, das sie nach wie vor nicht begriff. Sie musste ihn danach befragen. So bald wie möglich.
    Obwohl Josephine vermutet hatte, was er zu tun gedachte, stand ihr der Mund offen, als er sich auszuziehen begann. So, als sei es das Gewöhnlichste der Welt, wildfremden Menschen seine Blöße zu präsentieren.
    „Was tust du da?“, flüsterte sie zu leise, als dass er sie hätte verstehen können, und doch antwortete er.
    „Schwimmen gehen, was sonst?“
    Josephine hielt den Atem an. Für die Dauer zweier Wimpernschläge ergoss sich das Mondlicht über seinen nackten Körper und hüllte ihn in die Aura einer Statue. Sein Anblick brannte sich in ihre Wahrnehmung, doch viel zu schnell stieß er sich von den Felsen ab und tauchte kopfüber in das Wasser ein. Glitzernde Ringe huschten über den See, liefen aus und erstanden neu, als Nathaniel nahe dem gegenüberliegenden Ufer auftauchte.
    „Komm“, lockte er sie. „Nur keine Scheu. Ich tue dir nichts.“
    „Das würde ich auch nicht zulassen.“
    „Niemals würde ich dir etwas antun, was du nicht selbst willst.“ Nathaniel lachte. Unendlich verlockend klang dieser Laut durch die Nacht, als entstamme er keinem Menschen, sondern einem hinterlistigen Waldgeist, dessen ureigenste

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