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Nathaniels Seele

Titel: Nathaniels Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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gegangen, weil sie zu viel wusste? Weil sein Geheimnis nicht mehr sicher war und er wusste, dass ein Zusammensein mit ihr die Aufdeckung nötig gemacht hätte?
    Josephine kapitulierte. Sie flüchtete sich in ihre Arbeit, zurück in die Realität. Wiedersehen würde sie ihn wohl kaum, und mit Sicherheit – verdammt, warum hasste sie ihren Verstand für diese Einflüsterung? – war es gesund für sie. Nathaniels Bogen, sein Köcher und der Seesack waren nicht mehr da, genau wie Chinook und der altersschwache Jeep. Die leere Wohnung sprach klare Worte – er würde nicht zurückkehren. Für den Rest ihres Lebens musste sie damit leben, was geschehen war. Was sie gesehen hatte.
    Josephine war froh, als sich am frühen Nachmittag die Notwendigkeit einer Fahrt in die Stadt ergab. Eine der Erntemaschinen war ausgefallen, und es galt, so schnell wie möglich das Ersatzteil zu besorgen. Die Erleichterung, Ablenkung zu finden, schlug schnell in Resignation um. Weder die Reizüberflutung der Stadt milderte ihre Qual noch Jacobs Beteuerung, dass das Schicksal zwar oft hinterhältige Wege ging, nie aber sinnlose. Was wusste er schon? Er hatte nicht gesehen, was sie gesehen hatte. Sein Weltbild lag nicht in Scherben und weigerte sich, nach dem alten Muster zu funktionieren.
    Umgeben von Lärm und Chaos, durcheinanderwehenden Stimmen und dem Sirren unzähliger Sendeanlagen, auf das ihre Ohren empfindlicher denn je reagierten, drifteten ihre Gedanken in ungesunder Regelmäßigkeit zu Nathaniel ab. Sie dachte an seine Stimme und an seinen Blick. Beides konnte gnadenlos verletzen oder so samtweich liebkosen, dass die Erinnerung ihre Knie schmelzen ließ. Ein paar entrückte Augenblicke lang zählte es nicht mehr, dass er etwas war, das ihren Verstand überstieg. Ob es gefährlich für sie war oder nicht, oder wie groß sich die Wahrscheinlichkeit gestaltete, dass sie den Verstand verlor.
    Sie sehnte sich nach ihm. Es war eine Sehnsucht, die körperlich schmerzte, die sie auseinanderzureißen schien und allem, was sie hätte ablenken können, Sinnlosigkeit verlieh. Das Essen in ihrem Lieblingsimbiss besaß keinen Geschmack. Die Wärme der Augustsonne drang nicht bis zu dem eiskalten Klumpen vor, der sich in ihr eingenistet hatte. Der blaue Himmel war blass und farblos.
    Als sie zur Farm zurückkehrten, senkte sich bereits die Abenddämmerung herab. Ein Wagen stand vor der Veranda, doch es war nicht Nathaniels Jeep. Ein junger, schwarzhaariger Mann von eindeutig indianischer Abstammung hockte auf der Treppe, den sie nie zuvor gesehen hatte. Er mochte kaum älter als zwanzig sein. Vielleicht irrte sie sich und es lag an seinem spitzen, kleinen Falkengesicht, dass er einen derart jugendlichen Eindruck erweckte. Der Fremde trug eine schwarze Cargohose und ein gleichfarbiges Kapuzenshirt. Seine Haare, kaum fingerlang, waren mit viel Gel in ein surrealistisches Chaos verwandelt worden.
    „Hi“, sagte der Junge fröhlich, als sie aus dem Wagen stieg und zu ihm ging. „Ich bin Jeremy. Nat schickt mich.“
    Josephine Herz schien mehrere Takte auszusetzen.
    „Nat?“, wisperte sie atemlos. „Was ist mit ihm?“
    Jeremy warf einen Blick auf Jacob, der sofort verstand und das Weite suchte. Als der alte Mann im Pferdestall verschwand, fuhr der Junge fort: „Er hat mich hergeschickt, damit ich dich zu ihm bringe.“
    Kälte sickerte in ihre Eingeweide. Gefolgt von der Hitze unendlicher Erleichterung. „Was ist los? Warum ist er verschwunden?“
    „Ich warte schon ein paar Stunden auf dich, nur dass du nicht denkst, er hätte dich absichtlich schmoren lassen. Man rief Nat ins Reservat, weil ein Mädchen von einem Baum gefallen ist und sich das Genick gebrochen hat. Alles musste schnell gehen, und du warst heute Morgen nicht wach zu kriegen.“
    Josephine nickte. Ähnliches hatte auch Jacob berichtet, der erst vor ein paar Tagen daran gescheitert war, sie mitten in der Nacht wegen einer fohlenden Stute aus dem Schlaf zu reißen. „Er hat das Mädchen geheilt, oder?“
    „Das hat er.“ Jeremy schob seine Hände in die Hosentaschen und wippte wie ein nervöser kleiner Junge auf den Zehenspitzen auf und ab. „Jedenfalls geht es ihr wieder gut. Nat allerdings ist etwas neben der Spur. Wegen dir.“
    Josephine schnappte nach Luft. „Raus mit der Sprache. Was ist los mit ihm?“
    „Das soll er dir selbst erzählen. Aber ich warne dich vor. Wenn du dich mit ihm einlassen willst, wird das nicht ungefährlich. Nat ist völlig verrückt nach

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