Natürliche Selektion (German Edition)
kurz zu und setzte sich ans andere Ende des Tresens. Sie kostete ihren Gin Tonic und versuchte, die neugierigen Blicke des Quarterbacks zu ignorieren. Hättest besser im Zimmer gewartet , dachte sie ärgerlich, als er auch schon sein Glas hob und ihr zuprostete:
»Cheers, schöne Lady! Schmeckt scheußlich, wie?«
Ein ganz Origineller. Am liebsten hätte sie einfach weggeschaut, doch das ließ ihr Anstand nicht zu. »Ist ganz O. K.«, sagte sie und hoffte, die Anmache wäre erledigt. Er verstand die Tatsache, dass sie seine Sprache sprechen konnte, als Einladung, schälte sich umständlich vom Hocker und kann mit seinem Bierglas auf sie zu. Vielleicht war es auch ihr französischer Akzent oder doch der kurze Rock, der ihn zwang, sich neben sie zu setzen.
»Jim aus Philly«, sagte er und streckte ihr grinsend seine Pranke entgegen. Tut mir leid , lag ihr auf der Zunge, doch sie begnügte sich damit, den Händedruck stumm zu erwidern. Auch das dämpfte seinen Eifer nicht. Das Grinsen blieb, als er es nochmals versuchte: »Lassen Sie mich raten: Europa?« Sie trank einen Schluck aus ihrem Glas, was er erfreut als ein Ja verstand. »Italienerin?«
Großer Gott, was sollte das werden, das Zwanzig-Fragen-Spiel? Wie konnte der Mensch so blöd sein, nicht zu begreifen, dass seine Gesellschaft nicht erwünscht war? Manchmal fragte sie sich, ob sie nicht all die Jahre die falschen Leute behandelt hatte. Sie hasste Situationen wie diese, die sie zwangen, selbst ruppig zu werden.
Die Stimme einer Unbekannten hinter ihr erlöste sie aus dem Dilemma: »Dr. Bruno?«
Leo drehte sich um, ohne den Quarterback eines weiteren Blickes zu würdigen. »Ja, bitte?«
Die Frau streckte ihr lächelnd die Hand entgegen und stellte sich vor: »Dr. Ruth Seiler von Remedis. Ich werde Sie bei Ihrem Besuch von RDC betreuen.«
Sie schaute die junge Frau überrascht an. Der Professor hatte ihr einen andern Kontakt vermittelt: Max Kendall, den Pharmakologen bei RDC. Die Frau trug das blonde Haar militärisch kurz geschnitten. Ihre leuchtend blauen Augen versteckte sie hinter einer allzu schwerfälligen Hornbrille, die ihr dauernd von der kurzen Nase zu rutschen drohte. Sie bemerkte Leos Verwirrung und beantwortete die unausgesprochene Frage:
»Eigentlich arbeite ich als Pharmakologin im Forschungsinstitut bei Basel und bin hier auch nur zu Besuch. Da Sie an unseren Neuentwicklungen interessiert sind, entschied Dr. Kendall, ich sei die Richtige für Sie.«
»Eine weise Entscheidung«, freute sich Leo. So hoffte sie doch mehr zu erfahren, als sie angenommen hatte. Einzig die Jugend dieser Frau Seiler könnte zum Problem werden. Sie wusste wohl kaum etwas über die Ereignisse bei RDC vor zehn, zwölf Jahren.
Ruth Seiler zog eine Aktenmappe aus ihrer Tasche und schlug vor: »Wollen wir uns an den Tisch setzen? Ich möchte Ihnen das Wichtigste über den Betrieb und unsere Produkte zeigen.«
Leo hörte sich die Erläuterung der Glanzprospekte geduldig an. Das gehörte zum festen Ritual eines jeden Firmenbesuchs, und je eher man es hinter sich brachte, desto besser. Ruth Seiler verstand ihr Fachgebiet, und sie stellte sich als eine hervorragende Verkäuferin heraus. Eine seltene Kombination, wie Leo aus langer Erfahrung wusste. Sie musste sich bemühen, ihr Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Sie selbst, nicht RDC sollte den Verlauf des Besuchs bestimmen. »Hat Ihnen Dr. Kendall gesagt, was ich mir vom Besuch erhoffe?«, fragte sie schließlich.
»Er hat mich informiert, aber es ist besser, wenn ich es nochmals direkt von Ihnen höre.«
»Also, wie Sie wissen, bin ich seit vielen Jahren praktizierende Psychiaterin. Da hat sich mit der Zeit eine gewisse Routine, auch bei der Medikation, entwickelt, die ich für gefährlich halte. Wir Ärzte nehmen uns einfach zu wenig Zeit, die neuen Entwicklungen und Forschungsergebnisse zu verfolgen. Daher der Besuch bei RDC. Ich hoffe, dass Sie mir einen konzentrierten Überblick über die aktuellen und bereits in Erprobung befindlichen Medikamente zur Behandlung verschiedener Formen von Traumata geben können, ohne dass ich mich durch Tonnen von Fachliteratur quälen muss. Der zweite Schwerpunkt ist eine Art Klassifizierung der Psychopharmaka zur Verbesserung der Gedächtnisleistung und Lernfähigkeit.« Dieses Ansinnen trug ihr einen beinahe erschrockenen Blick ihres Gegenübers ein. Sie hatte es im Telefongespräch mit Dr. Kendall mit keinem Wort erwähnt. Um die Bestürzung zu dämpfen, fügte sie eilig
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