Natürliche Selektion (German Edition)
Sie haben sich ein umfangreiches Gebiet ausgesucht.«
»Schon klar. Ich dachte, ich beginne bei den Grossen der Branche: Pfitzer, Lilly, Novartis, Remedis. Ist nur nicht immer leicht, an die richtigen Leute zu kommen.«
Er schaute sie einige Augenblicke nachdenklich an, schien zu überlegen, dann antwortete er: »Da liegt das Problem, ganz richtig. Die werden Sie nicht ins Innerste ihrer Forschungsinstitute lassen. Die ganze Branche ist paranoid, wenn es um Neuentwicklungen geht.«
»Auch das ist mir natürlich bekannt«, nickte sie. Die Gelegenheit war günstig, den Köder auszuwerfen, deshalb fügte sie rasch hinzu: »Ich dachte eher an Produktionsbetriebe wie RDC, zum Beispiel.«
Seine Antwort überraschte sie. Er lachte laut auf und sagte: »Brillant! Da können Sie gleich ein paar Wochen Ferien machen auf Puerto Rico. Die Fabriken sind alle dort versammelt.«
Sie fasste sich schnell und spielte mit: »Ferien stelle ich mir zwar anders vor, aber es ist schon ein Segen, dass ausgerechnet die Karibik ein wichtiges Zentrum der Pharmaproduktion ist. Mit Ihren guten Verbindungen würde sich ein Studienaufenthalt auf Puerto Rico sicher lohnen.«
»Ob es sich lohnt oder nicht liegt ganz allein bei Ihnen, meine Teuerste. Aber ich glaube, ich kann Ihnen die eine oder andere Tür öffnen. Dazu muss ich allerdings an die Adressliste auf meinem verhassten Computer. Sind Sie einverstanden, dass ich die Kontakte per E-Mail schicke?« Das hässliche Verb mailen kam wohl nicht über seine kultivierten Lippen.
»Selbstverständlich. Wunderbar, ich bin Ihnen sehr dankbar, Professor.«
Auf der Brücke zum linken Ufer der Seine schaltete sie ihr Telefon wieder ein. Kaum war das Netz da, klingelte es.
»Leo! «, rief die aufgeregte Stimme Edmonds. »Endlich, ich versuche schon seit einer Stunde, dich zu erreichen. Können wir irgendwo essen gehen. Wir müssen reden.«
»Ich habe gerade sehr gut gespeist, mein Lieber. Aber reden können wir trotzdem. Was gibt’s denn so Wichtiges?«
»Du bist gut. Mein Gott, Leo, hast du eine Vorstellung davon, was jetzt hier los ist?«
»Muehlberg krempelt den Laden um und der Direktor versucht, die Wogen zu glätten.
»Ja, ich glaube, ich kann’s mir ungefähr vorstellen.«
»Es ist unerträglich. Eine Sitzung nach der andern. Wir haben kaum Zeit, uns um die Patienten zu kümmern. Es macht nicht den geringsten Spaß ohne dich.«
Sie drückte den Hörer fester ans Ohr, um ihn trotz des Heidenlärms vorbeibrausender Laster zu verstehen. Sie rief ihre Antwort ins Telefon: »Tut mir leid, Edmond. Aber ich kann’s nicht mehr ändern. Du wirst dein Lachen schon nicht verlieren, da bin ich mir ganz sicher.«
»Was schreist du so?«
»Wir müssen Schluss machen. Ich stecke mitten im Verkehr.«
»Einen Augenblick noch«, entgegnete er hastig. Er zögerte kurz, dann sagte er: »Sie meint, du würdest es dir nochmals überlegen.«
»Ach Edmond! Du hast mit der süßen Audrey gesprochen. Die Antwort ist und bleibt nein. Das habe ich ihr auch gesagt. Tut mir leid.« Zum Thema Salpêtrière war alles gesagt. Sie beendete das Gespräch und beeilte sich, nach Hause an ihren Computer zu kommen. Professor Fabres Mail interessierte sie sehr.
San Juan, Puerto Rico
Diese Klosterzelle war wesentlich komfortabler eingerichtet als das Zimmerchen, das Leo im andern ehemaligen Kloster unweit von Monte Carlo mit Michel geteilt hatte. Hier im Zentrum San Juans hatte man ein dreihundert Jahre altes Gotteshaus zu einer Luxusherberge umgebaut. Pastellfarbige Wände, Eisenbetten mit dicken amerikanischen Matratzen, Fenster mit Blick auf die von greller Sonne gebleichten Gassen der Altstadt und das lichte Blau der Karibischen See inklusive. Sie war in einer teuren Kitschpostkarte abgestiegen, und das mit voller Absicht. Seit sie Michel verloren hatte, ersetzten eben wieder materielle Güter die fehlenden ideellen Werte. Die Tapas-Bar an der Straßenecke unter dem Zimmer war gepackt mit fröhlich schnatternden Schwarzen. Einheimische Händler vielleicht, die sich hier die Zeit bis zur Ankunft der nächsten Welle moderner Kreuzfahrer vertrieben oder einfach den Feierabend genossen. Von einem nahen Kirchturm schlug es dreimal. Noch eine Viertelstunde bis zu ihrem Treffen um sieben Uhr. Sie nahm ihre Tasche und fuhr in die Lobby hinunter.
Die Hotelbar war leer bis auf einen Riesen, der sich wie ein aus der Form geratener Footballspieler auf dem viel zu kleinen Hocker langweilte. Sie nickte ihm und dem Barmann
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