Natur
kann vom Felsen abstürzen, im Meer ertrinken, sich in der Einöde verirren und von wilden Tieren angegriffen werden.
Die übermächtige Natur, die den Menschen in Angst und Schrecken versetzen und auch vernichten kann, setzt das ausgewogene Mensch-Natur-Verhältnis vorübergehend, längerfristig oder auch dauerhaft außer Kraft. Nicht nur wegen extremer Ereignisse, die unvorhersehbar über die Menschen herein brechen können, ist die Natur bedrohlich, sondern auchdann, wenn sie Nahrungsmittel, Wasser, Schutz und Wärme, die der Mensch zum (Über-) Leben braucht, nicht in ausreichendem Maße bietet.
Die unheimliche Natur
Unheimlich ist das nicht kontrollierbare Unbekannte. Das Unheimliche ist spannend und aufregend, zugleich aber auch beängstigend und bedrohlich. Zu viel Ungewissheit und Geheimnis sind unheimlich, ein Übermaß an Spannung und Erregung schlägt negativ zu Buche. Nur in bestimmten Situationen wird eine übergroße Erregung angestrebt, was der Begriff der Angstlust (thrill) zum Ausdruck bringt: Angst kann lustvoll sein, wenn die Gesamtsituation unter Kontrolle ist und die betreffende Person weiß, dass das Übererregende und Gefährliche nur von kurzer Dauer ist.
Die Trennlinie zwischen der unheimlichen, nicht durch den Menschen kontrollierbaren Wildnis und der geheimnisvollen Natur, die wegen eines hohen Ausmaßes an Mystery anziehend ist, lässt sich nicht immer leicht ziehen. Die Gründe liegen zum einen in den individuellen Unterschieden in der Wahrnehmung von Unheimlichkeit, zum anderen hängt es von der Gesamtsituation und der wahrgenommenen Kontrolle darüber ab.
Wie schwierig die Grenzziehung ist, zeigt die Untersuchung von Herzog & Kropscott (2004). Von einer interessanten anregenden Rätselhaftigkeit bis hin zu einer bedrohlichen nicht kontrollierbaren Ungewissheit kann es nur ein kleiner Schritt sein. Die Forscher legten ihren Versuchspersonen Bilder mit vier Typen von Waldszenen vor, die sie auf 5-stufigen Skalen hinsichtlich verschiedener Merkmale wie Präferenz, Gefährlichkeit, Lesbarkeit und Mystery bewerten sollten. Gefährlichkeit und Mystery korrelierten hoch positiv miteinander. Mystery in waldiger Umgebung wurde von den Versuchspersonen kaum mehr als anregend und auch nicht mehr als dazu motivierend, den Wald näher zu erkunden, sondern stattdessen als gefährlich eingeschätzt. Bedrohlichkeit und Präferenz korrelierten wie auch Präferenz und Mystery signifikant negativ. Beides spricht dafür, dass der mysteriöse Wald zugleich auch der unheimliche Wald ist, der negative Gefühle weckt. Erhärtet wurde dieses Ergebnis in einer weiteren Untersuchung von Herzog & Kirk (2005). Die Versuchspersonen bewerteten eine Serie von 56 Bildern von Waldszenen mit einem Weg, bei dem Mystery, Übersichtlichkeit, die Wegelänge und Wegebreite variiert wurden. Es ergab sich eine negative Korrelation zwischen Präferenz und wahrgenommener Bedrohlichkeit. Mystery korrelierte auch hier positiv mitBedrohlichkeit und negativ mit Übersichtlichkeit. Die besten Noten erhielt ein Waldweg mit Ausblicken.
Da sich jedoch in etlichen Untersuchungen Mystery als ein Merkmal herausgestellt hat, das mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer positiven Einschätzung von Landschaften beiträgt, lassen die Ergebnisse von Herzog und Mitarbeitern darauf schließen, dass Mystery in bestimmten Situationen fehl am Platze ist. Typisch für solche Situationen ist fehlende visuelle Kontrolle, verbunden mit dem Eindruck, dass auch erkundende Schritte den Blick versperrenden dichten Wald nicht lichten könnten.
Manchmal ein Gewitter,
das nicht über den See kam,
und bei jedem Blitz
zählte meine Angst
den Donner aus.
(Ausschnitt aus einem Gedicht von Peter Engel: Kindheitssommer, in Peter Engel (2000). Rückwärts voraus. Weilerswist: Landpresse, S. 24)
Doch nicht nur der die Sicht beeinträchtigende dunkle Wald, sondern sogar ein Stadtpark kann den Eindruck von Unheimlichkeit hervorrufen, wenn er nämlich in den Zeiten der Dunkelheit durchquert wird. Er kann zu einem «Angstort» werden, für den eine fehlende visuelle Kontrolle typisch ist. Hier mangelt es an «Prospect» (Fisher & Nasar, 1992). Mystery kann sich bei eingeschränkter Übersichtlichkeit negativ auswirken.
Umwelten, die für Erwachsene noch den Flair des Geheimnisvollen haben, können für Kinder unheimlich und beängstigend sein. Sobald das Kleinkind zwischen sich und der Umwelt unterscheiden kann, tritt auch das Unheimliche und Fremde in seine Welt
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