Nayidenmond (German Edition)
behandeln … Ich plappere kein dummes Zeug, die Frage war berechtigt! Wieso schlägt er mich? Wieso darf ich nicht schlafen, oder wenigstens etwas trinken, ich kann nicht mehr … Erst als er Salz schmeckte, wurde ihm klar, dass Tränen über sein Gesicht rannen.
Wenn wir nicht bald anhalten, heule ich wirklich noch wie ein Kleinkind los!, dachte er. Wütend biss er sich auf die Lippen und setzte einen Fuß vor den Nächsten. Es ging weiter durch die feuchten, niedrigen Gänge, die sich hier so vielfach kreuzten, bis ihm plötzlich bewusst wurde, dass er falsch abgebogen sein musste.
Kommt davon, halb im Traum zu laufen, hier unten muss man wissen, was man tut!
Ohne Vorwarnung drehte er sich um, gab Iyen die Fackel in die Hand und ließ sich fallen.
„Schluss!“, flüsterte er und unterdrückte nur mühsam den Reflex, vor Iyen zurückzuweichen, als der nach ihm griff. „Keinen Schritt weiter, sonst verliere ich den Weg. Ich kann nicht mehr.“
Er rechnete mit Ermahnungen, Befehlen oder Schlägen, aber Iyen setzte sich nur mit ihm gemeinsam nieder, legte ihm eine Decke über die Schulter und reichte ihm einen Wasserschlauch.
„Trink. Du darfst ein wenig schlafen, ich halte Wache.“ In seinem Blick lag etwas, das Rouven erschaudern ließ. Konnte das wirklich Bedauern sein? Zuneigung?
Am liebsten hätte Rouven alles leer getrunken, so durstig war er nach dem langen Weg. Doch Iyen gestand ihm nur einige hastige Schlucke zu und wandte sich dann von ihm ab, so kalt und unnahbar wie die Felsen um sie herum. Der Iyen seiner Träume war ganz anders, zärtlich und beschützend …
Werde erwachsen, das hier ist das wirkliche Leben, dachte er verbissen, rollte sich in seine Decke und versuchte, auf dem harten Boden eine Position zu finden, in der er schlafen konnte. Ich darf mich nicht so an ihn hängen. Der Albtraum ist bald vorbei! Er beschützt mich, kein Grund, mich deshalb wie ein Säugling aufzuführen. Ich wünschte nur … Seine Gedanken verloren sich, und nur Augenblicke später war er tief eingeschlafen.
Iyen betrachtete den Mann, dem er die vergangenen sechs Jahre seines Lebens gewidmet hatte. Die Tränen, die Rouven still vergossen und salzige Linien über die schmutzigen Wangen gezeichnet hatten, berührten ihn unangenehm – er wusste, Rouven hatte seinetwegen geweint. Oder, besser gesagt, vor Überanstrengung waren einige Tränen gekullert, richtiges Weinen sah anders aus. Er hatte ihn bewusst bis an den Rand des Zusammenbruches getrieben, einerseits, um so viel Abstand wie nur möglich zu ihren Verfolgern zu gewinnen, andererseits, um Rouvens Grenzen zu erfahren. Rein körperlich gesehen hatte Rouven sich glänzend geschlagen. Angst und Erschöpfung ertrug er noch besser als damals, wo er bereits immense Willenskraft bewiesen hatte. Wenn er nur nicht so impulsiv und unberechenbar wäre …
Er muss wirklich kaputt sein. Für einen Erwachsenen ist er viel zu emotional. Die meisten Opfer pflegten sich hinter Fassaden von Stärke oder ewiger Heiterkeit zu verstecken, wenn sie nicht zusammenbrachen. Was es bei Rouven war, hatte er noch nicht durchschaut. Iyen hätte ihn gerne für seine Schwäche verachtet, doch die seelische Zügellosigkeit stand im Widerspruch zu der körperlichen Selbstkontrolle, die Rouven bewies. Geistig war er mal wie ein Kind, das unentwegt Fragen stellen musste, um die Welt zu begreifen, und dann wieder so scharfsinnig und praktisch begabt …
Wenn ich dir nur sagen könnte, was ich fühle, wenn ich dich doch so behandeln könnte, wie du es verdient hast, dachte er und strich sanft über Rouvens Wange. Die Haut war so glatt rasiert, dass überhaupt keine Bartstoppeln zu spüren waren. Ihn zu berühren war ein gutes Gefühl, nur zu gerne hätte er ihn weiter liebkost, war stolz auf sich, dass er diesem Verlangen widerstehen konnte. Den Blick konnte er allerdings noch nicht von ihm lösen. Sechs Jahre lang hatte er alles getan, um zu vergessen, wie es sich anfühlte, einem Menschen so nah zu sein. Ihn im Arm zu halten, seinen Herzschlag, seinen Atem zu spüren, seinen Duft aufzunehmen, das Spiel der Muskeln zu fühlen. Rouven war ihm so nah gewesen, er hatte ihn streicheln und trösten dürfen …
Ich wünschte, wir hätten uns niemals wiedergesehen. Es wäre besser für dich und für mich. Du machst mich wütend, und zärtlich, und meine ganze Welt steht Kopf, nur wegen dir …
Iyen löschte die Fackel, er hatte nur noch zwei weitere und diese hier war fast
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