Nayidenmond (German Edition)
niedergebrannt. Außerdem wäre es Dummheit, Jarne und Bero mit dem Lichtschimmer den Weg zu weisen, sollten die beiden es tatsächlich wagen, ihnen in die Tunnel zu folgen.
Und ihn noch länger anzustarren kann auch nicht helfen …
Rouven war erleichtert, als sie ins Freie traten und wieder Himmel statt dunkles Gestein über sich hatten. So sehr er die Grotten und Tunnel liebte, mit Iyen im Rücken war der Weg zur Qual geworden. Sein Gesäß brannte von den wiederholten Schlägen, die er sich mit gedankenlosen Fragen eingehandelt hatte – mittlerweile schwieg er lieber vollständig, denn sobald er zu sprechen begann, purzelten die Fragen allein aus ihm heraus. Es gab so viel, was er wissen wollte, nachdem er sechs Jahre lang im Königspalast eingeschlossen gewesen war und nur in Begleitung von Gardisten oder heimlich des Nachts mal in die Stadt gehen durfte. Sein Vater hatte sich trotz unzähliger Bitten nicht erweichen lassen, die strengen Schutzmaßnahmen zu lockern – solange nicht geklärt war, warum er damals entführt worden war, wollte König Rilon ihn nicht einen Moment lang unbewacht wissen. Hätte Rouven nicht gewusst, dass seine Feinde sich einen halben, allerhöchstens einen Dreivierteltag hinter ihnen befanden, hätte er diese Reise in vollen Zügen genossen. Zumindest, wenn Iyen ihn nicht so kaltherzig behandelt hätte, als wäre er ein Gefangener statt … Ja, was eigentlich?
Wenn ich wenigstens sein Schützling wäre, so wie damals. Wenn ich ihm eine so unerträgliche Pflicht bin, warum hat er sie dann freiwillig auf sich genommen? Er wägte ab, ob er es riskieren wollte, wieder nur mit Schlägen statt Antworten abgehandelt zu werden. Rouven hätte den Hieb hingenommen, wenn Iyen dann wenigstens sagen würde, wie sie zueinander standen; die Wahrscheinlichkeit war allerdings so gering, dass er es nicht darauf ankommen lassen wollte.
„Hier lang“, brummte Iyen die ersten Worte, seit er Rouven nach viel zu kurzem Schlaf geweckt hatte, und wies nach Osten. Der Pfad würde sie von den viel genutzten Passstraßen geradewegs zurück in die Wildnis führen. Rouven hatte nur nebulöse Vorstellungen, wo sich das Nasha-Tal befinden mochte, und nicht die geringste Ahnung, wohin Iyen mit ihm stattdessen gehen wollte. Ungebetene Stimmen flüsterten ihm zu, dass sechs Jahre eine lange Zeit waren, in der sich ein Mensch vollständig ändern konnte. Dass Iyen ihn damals nur gerettet hatte, weil die Folter seinem Ehrgefühl widersprach. Niemand garantierte ihm, dass Iyens Absichten auch diesmal gut waren.
Wenn er mich nun mit seinen Legenden und Prophezeiungen aus dem Palast gelockt hat, um sich die Mühe zu sparen, mich gewaltsam entführen zu müssen?
Aber er hatte ihn nach einem sicheren Weg gefragt, das bedeutete doch eher, dass Iyen selbst kein festes Ziel hatte, sondern ihn einfach nur bis zum Ende des Nayidenmondes vor dem Zugriff der Oshanta beschützen wollte? Oder wollte er nur sicher sein, dass niemand ihm die Beute streitig machte?
Rouven versuchte, nicht zu sehr in düsteren Grübeleien zu versinken und folgte diesem Mann, den er schlicht nicht begreifen konnte. Sie befanden sich inzwischen im Yavelwald, der zu dem Herrschaftsgebiet seines Bruders Arnulf gehörte. Es hob seine Stimmung keineswegs, als er sich bewusst machte, dass er tagelang in jede Himmelsrichtung reisen könnte, ohne nur ein einziges Mal Fuß auf ein Stück Land zu setzen, das nicht seiner Familie gehörte. Der Fluss Yada, der dem Nasha-Tal entsprang, gehörte ebenfalls dazu.
„Können wir nicht nach Osor gehen?“, fragte er plötzlich. „Dort könnten wir genauso gut untertauchten wie irgendwo anders, und ich könnte eine wichtige Aufgabe …“
„Nein!“ Iyens Stimme und Gesichtsausdruck ließen keinen Zweifel, dass er diesen Punkt nicht verhandeln würde.
„Warum?“, begehrte Rouven auf und zischte vor Wut, als er wieder einen Schlag erhielt.
„Zu unsicher“, war die einzige Antwort. Er wollte noch einmal protestieren, doch die Warnung, die in Iyens Augen blitzte, ließ ihn verstummen. Dieser Mann war gefährlich, er durfte sich nichts vormachen.
„Nicht zurückbleiben!“, knurrte Iyen und blickte missbilligend über die Schulter, während er schon vorwärtsschritt. Genauso, wie Arnulf ihn anzustarren pflegte.
Das war einer dieser Momente, in dem sich Rouven fragte, warum er überhaupt geboren worden war. Oder ob es nicht besser gewesen wäre, hätte er damals sterben dürfen …
Nichts da! Wütend
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