Nayidenmond (German Edition)
Wegelagerer, die früh dran sind, lange genug zu erschrecken, bis du aufwachst. Bei Raubtieren sieht es schon schlechter aus, aber vielleicht hält der Rauchgeruch des Feuers noch ein Weilchen.“ Er hörte das leichte Schaben von Metall auf Leder, als Iyen eine seiner zahllosen Waffen zog, zwang sich zur Ruhe, als er hart am Handgelenk gepackt wurde und ein Schwert überreicht bekam.
„Vorsicht, mein Prinz“, warnte Iyen mit dieser Andeutung von Belustigung in der Stimme, die so ungemein bedrohlich wirkte, „sei vorsichtig. Ich weiß, was Ironie ist. Hoffen wir, dass du damit sagen möchtest, dass du dich für einen guten Schwertkämpfer hältst.“
„Schlaf gut“, murmelte Rouven entnervt und nahm Iyens Platz ein. Wache halten war so langweilig, und gerade deshalb die größte Herausforderung für einen Krieger. Zumindest behauptete sein Vater das immer und hatte darum strikt verboten, dass Rouven jemals Wache halten dürfe, und sei es nur bei einem Jagdausflug und am helllichten Tage. Nicht, dass er in den letzten sechs Jahren auf einen Jagdausflug hätte gehen dürfen …
Vielleicht sollte ich Iyen bitten, mich nach dem Nayidenmond irgendwo auszusetzen, wo es mich ein paar Wochen kosten würde, nach Hause zu gelangen. Ich habe dieses Gefängnis so satt, egal, wie groß es ist! Oder er könnte mich wenigstens nach Osor bringen, dann hätte ich etwas vorzuweisen, sobald ich heimkehre.
Selbstverständlich würde sich Iyen darauf nicht einlassen, aber die Vorstellung war schön. Besser, als an den Toten zu denken, oder die Verfolger … Rouven beschäftigte sich einige Zeit damit, sich ein Leben fern des Palastes auszumalen, irgendwo, wo er nützlich sein konnte. Doch er wusste, er würde seine Geschwister vermissen, seinen Vater, sogar Königin Amanta und Arnulf. Eine weitere Stunde verging, während Rouven bemüht war, alle Gesichter seiner übergroßen Familie heraufzubeschwören, der Krieger, Diener und Sklaven, die im Palast lebten, einfach jeden, den er kannte und mochte, dazu all das, was er mit diesen Menschen verband. Traurige oder schmerzhafte Erinnerungen drängte er dabei zur Seite, ließ nur die guten Zeiten zu. Was Iyen da gesagt hatte – dass er zwar lächeln, aber niemals lachen würde – nagte an ihm. Darum suchte er nach Momenten, in denen er gelacht hatte, es musste sie einfach geben! In der Zeit vor seiner Entführung fand er diese Erinnerungen überreichlich, danach hingegen …
Es waren keine schlechten Jahre gewesen, so vieles war geschehen, lustige und schöne Augenblicke. Nur gelacht hatte er anscheinend nie. Selbst mit Airin nicht.
Und niemandem ist es aufgefallen, nicht einmal mir selbst. Ein Oshanta hingegen braucht keine zwei Tage und er weiß alles über mich, dachte er verbittert.
Als es hell geworden war, gab er auf und begann den Aufbruch vorzubereiten. Viel war nicht nötig, das Frühstück würde aus den kargen Resten des Rebhuhnes bestehen, die Feuerstelle zu verbergen wäre vergebliche Mühe, waschen würden sie sich unterwegs am Bach. Während er ihre Sachen zusammenpackte, musterte er Iyens schlafende Gestalt. Wie friedlich der sonst so gefährlich und düster wirkende Mann aussehen konnte! Rouven dachte darüber nach, was gestern geschehen war, bis es schließlich vollends eskalierte. In den sechs Jahren hatte er kein einziges Mal geweint und niemandem gestattet, ihn so innig in die Arme zu nehmen. Nur Airin war ihm nah gekommen, sehr nah. Doch selbst bei ihr hatte er sich nicht gänzlich fallen lassen können.
Entschlossen drängte er all das zur Seite und nahm sich ein wenig von dem Essen. Er wollte Iyen noch nicht wecken, egal, welche Vorwürfe er sich dafür würde anhören müssen. Ihm war klar, dass sie in Zeitnot waren, aber sie würden besser vorankommen, wenn Iyen einigermaßen ausgeschlafen war. Gleichgültig wie abgehärtet und selbstbeherrscht, ein Oshanta war auch nur ein Mensch!
Um die Langeweile zu vertreiben, begann Rouven, mit dem Kurzschwert zu üben. Es war eine hervorragende Klinge, gut bearbeiteter Stahl, scharf und doch leicht. Er versank in seine Bewegungen, Atemzüge und Schrittfolgen. Zwar achtete er weiterhin auf die Umgebung, auf verdächtige Geräusche, aufflatternde Vögel, jegliches Anzeichen von Gefahr; Iyen jedoch bemerkte er erst, als es fast schon zu spät war. Im allerletzten Augenblick wich er zurück und verhinderte so, dass der Oshanta ihm das Schwert entreißen konnte.
Erschrocken starrte er den großen Mann an, der mit
Weitere Kostenlose Bücher