Nayidenmond (German Edition)
kniete vor einem Baum nieder, den Rücken zu Iyen gewandt, klammerte sich am Stamm fest und sagte mit schwankender Stimme: „Nur zu, ich bin fertig. Schlag mich, soviel du nur willst.“
Iyen blickte auf den zornigen Mann nieder, der ihn verwirrte und beeindruckte wie noch kein Mensch je zuvor.
Ich war so wütend auf seine Brüder, die nur seine Leichtfertigkeit sehen wollten, und habe denselben Fehler begangen … Ihm wurde bewusst, dass er selbst schwer atmete. Eilig konzentrierte er sich, um sich wieder in den Griff zu bekommen. Was sollte er bloß tun?
Schweigend zog er ihn hoch und drehte ihn zu sich um. Rouven hielt den Kopf tief gesenkt, das leichte Beben seiner Schultern verriet, warum er sich weigerte aufzublicken.
Betroffen stand Iyen vor ihm und wusste nicht weiter, legte ihm schließlich zögerlich die Hände an die Oberarme. Rouven zitterte, trat einen halben Schritt näher. Wie er in Iyens Umarmung gelandet war, hätten sie wohl beide hinterher nicht mehr sagen können. Iyen hielt ihn fest, obwohl er sich doch geschworen hatte, dass dies niemals wieder geschehen durfte. Es tat so gut … Die Nähe und Wärme, der rasende Herzschlag, die hastigen Atemzüge, wenn Rouven die Luft nicht länger anhalten konnte, um das Schluchzen zu unterdrücken, die geballte Kraft seiner gefesselten Emotionen wühlten ihn auf, bis in die Tiefen seiner eigenen verletzten Seele. Instinktiv streichelte er über Rouvens Kopf, seine Schultern, bis das krampfhafte Zucken und Zittern endlich verebbte. Es wäre gut gewesen, hätte Rouven seinen Schmerz losgelassen, verstand aber, dass er es nicht konnte.
„Ich habe mich geirrt“, sagte Iyen leise, ohne den jungen Mann freizugeben. Er wäre in diesem Moment lieber gestorben, als sich aus dieser Umarmung zu lösen.
„Ich dachte, du bist ein oberflächlicher Mensch, der seine Gefühle vor sich herträgt wie ein Kind, ohne Beherrschung, ohne Tiefe. Ein Mann, der nie über sein Handeln nachdenkt, sich um nichts und niemanden sorgt oder kümmert, auch nicht um sich selbst, jemand, der nicht fähig ist für sich oder andere zu kämpfen, sondern nur beschützt werden muss – vor allem vor sich selbst. Ich habe mich geirrt, es tut mir leid.“ Rouven drängte sich noch enger an ihn heran, schniefte, klammerte sich an ihn, als wäre er sonst verloren. Genauso wie damals …
„Ich habe gesehen, dass du nach deiner Rückkehr nicht ein einziges Mal wirklich geweint hattest, selbst bei der Trauerzeremonie für deine Frau nicht. Dass du zwar häufig lächelst, aber niemals lachst. Du bist so rückhaltlos ehrlich mit allem, was du tust, und kannst dich gerade deswegen verstecken, weil alle glauben, es gäbe nichts mehr zu entdecken … Ich dachte, du seist damals zu stark verletzt worden, nur noch ein Schatten des Mannes, der du hättest werden können. Doch hinter der Maske des naiven, störrischen Rebellen steckt kein hilfloses Kind, sondern – ich weiß es nicht …“
Zutiefst verwundert versuchte Iyen zu begreifen, was für ein Mann Rouven wirklich war. Er hatte ihn weit genug getrieben, um einen Blick hinter die Fassade werfen zu können, kaum mehr als ein Blinzeln.
Ein Krieger ist er, der in einer Familie aufwachsen musste, wo ihn niemand versteht, weil er anders ist … Weil er sich zwar beugt, aber niemals anpasst … Erwartungen erfüllt, egal was es ihn kostet … Genauso wie ich …
Niemals hätte Iyen geglaubt, ein Oshanta könnte etwas mit einem Prinzen gemeinsam haben. Zu wissen, dass er eine verwandte Seele im Arm hielt, machte alles nur noch schwerer, denn eines hatte sich nicht geändert: Rouven war nicht für ihn bestimmt.
Sie blieben noch eine Weile so stehen, einander fest umarmend, doch dann begann Rouven unruhig zu werden und Iyen gab ihn frei.
Schweigend kümmerte er sich um das Essen, das zum Glück noch genießbar war, blickte dabei immer wieder zu seinem Gefährten hinüber, der sich das Hemd übergestreift und danach am Boden zusammengekauert hatte. Iyen wusste nicht, was er jetzt sagen, wie er reagieren sollte. Alles was er konnte, war töten, er war ein Mörder. Sonst nichts. Rouven war ein einsamer, verletzter Mann, dessen kaum vernarbte Wunden er nun wieder aufgerissen hatte. Er konnte ihm nicht helfen. Das Einzige, was er ihm bieten konnte, war Schutz, und selbst der war nicht gesichert, sollten ihre Verfolger sie aufspüren.
Schließlich stellte er ihm eine Schale mit Essen hin, reichte ihm einen Becher Tee an und setzte sich dann nach kurzem
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