Nazigold
Sattler.
»Beruhig dich wieder, Max. Ist bloß eine Berufskrankheit.«
»Der Wagen musste doch wieder in pflegende Hände«, gibt Sattler zu
bedenken. »So ein teures Stück kann doch nicht herrenlos herumstehen.«
»Was waren das denn für Verdienste?«, fragt Gropper.
»Ich habe Mittenwald vor der Zerstörung bewahrt. Weißt du das
nicht?«
Gropper schüttelt den Kopf.
»Aber das weiß doch jeder!«
»Ich nicht.«
»Natürlich. Du warst ja im rettenden Ausland.« Jetzt kommt Sattler
so richtig in Fahrt: »Das ging ja schon in Ettal los, wo ich geboren bin. Bei
Kämpfen zwischen unseren Gebirgsjägern und den Amerikanern wurden Ende April ’45
mein Geburtsort und das Kloster stark beschädigt. Mein Kloster Ettal, wo ich in die Schule gegangen bin! Dabei kamen sieben unserer
Gebirgsjäger ums Leben. Schrecklich. Als gläubigen Christenmenschen hat mich
das tief getroffen. Das durfte mit meinem geliebten Mittenwald nicht passieren!
Die Lazarette hier, die Einheimischen, die schönen Häuser mussten gerettet
werden. Und vor allem sollte es keine toten Gebirgsjäger mehr geben. Ich musste
unbedingt erreichen, dass Mittenwald nicht in Schutt und Asche gelegt wird.
Also übergab ich den Ort kampflos. Unter größter Gefahr für mein Leben! Ohne
Zögern bin ich den amerikanischen Sherman-Panzern entgegengegangen. Zusammen
mit dem Pfarrer Berghammer und dem Hauptlehrer Maier.«
Mein alter Lehrer Karl Maier lebt also noch, denkt Gropper und
beschließt, ihn so schnell wie möglich zu besuchen.
»Mit einem weißen Bettlaken bin ich auf die Panzer zumarschiert«,
rühmt sich Sattler. »Am 1. Mai ’45, als die Panzer aus Garmisch
kamen. Geschneit hat es wie wild, und saukalt war es an diesem 1. Mai.
Aber das hat mir nichts ausgemacht. Ich war ja immer noch Ortsgruppenleiter!
Zwei Stunden hab ich mit der Besatzung des Führungspanzers verhandelt.
Schließlich sicherten die Amerikaner mir zu, Mittenwald zu verschonen. Das lag
allein an meiner geschickten Verhandlungstaktik«, lobt sich Sattler. »Wir drei
stiegen auf den Führungspanzer und rollten mit den Amerikanern in Mittenwald
ein. Die Leute jubelten! Ich war natürlich der Held des Tages. Schon am
nächsten Tag haben mich die Amis als Bürgermeister eingesetzt.
Ortsgruppenleiter hin oder her, das spielte keine Rolle mehr. Und nun haben sie
mir den Buick überlassen.«
»Du musst mir auch was überlassen«, setzt Gropper an.
Sattler sieht ihn mit seinen dunklen Knopfaugen erstaunt an. »Was
denn?«
»Eine Schreibmaschine.«
»Ich hab keine Schreibmaschine, die ich dir geben kann«, sagt
Sattler knapp und wischt sich mit der flachen Hand den Schweiß vom Kopf.
»Und was ist mit denen da?« Gropper deutet auf die vier
Schreibmaschinen auf den beiden Tischen.
»Die benötigen wir selbst.«
»Hast du keine mehr in deinem Depot?«
Wieder trifft ihn Sattlers dunkler Blick. »Was soll das heißen, im
Depot? Bin ich ein Schwarzhändler?«
»Es könnte doch sein –«
»Gar nichts kann sein«, unterbricht ihn Sattler resolut. »Warum hast
du dir keine aus München mitgebracht?«
Für Gropper ist damit das Thema erledigt. »Was ist das übrigens für
ein merkwürdiges Grab auf dem Friedhof?«, fragt er. »Auf dem Grabstein steht
›Unbekannt‹.«
»Wieso, was soll damit sein?«
»Was weißt du darüber?«
»Nichts, gar nichts weiß ich darüber.«
»Hast du Unterlagen darüber?«
»Natürlich nicht. Für Todesfälle ist die Polizei zuständig, nicht
der Bürgermeister. Müsstest du eigentlich wissen.«
»Im Mai ’45 gab es noch keine deutsche Polizei.«
»Eben. Nur die Militärpolizei der Amis. Und die haben sich einen
Dreck um diesen Unbekannten geschert.«
»Aber es muss doch irgendwo Unterlagen über ihn geben.«
»Ich muss jetzt los. Hast mich schon lange genug aufgehalten.
Außerdem gehst du mir auf die Nerven mit deiner Fragerei.«
»Diesen Unbekannten hat man aus Nafzigers Jauchegrube
herausgeholt.«
»Ach ja? Da weißt du als Schweiz-Heimkehrer mehr als ich.«
»Stimmt das denn nicht?«
Sattler rutscht auf seinem breiten Ledersessel hin und her.
»Also, wie war das mit der Jauchegrube?«, beharrt Gropper.
»Ich weiß nichts«, poltert Sattler. »Frag doch den Nafziger!«
»Der ist tot.«
»Gott sei Dank, dieser Judas!«
»Wieso Judas?«
»Das erzählt man sich eben so«, murmelt Sattler kaum verständlich,
weil er sich mit der Hand über sein verschwitztes Gesicht fährt.
»Warst du mit Nafziger befreundet?«
»Natürlich.
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