Neal Asher - Skinner-Der blaue Tod
ließ die Spannung augenblicklich nach. Der Gestank der verfaulenden Vegetation war stark, aber nicht halb so aufdringlich wie der von verwesendem Fleisch. Die Prill, die noch nicht gefressen hatten, waren gerade dabei, einen großen Kadaver zu verschlingen, der im vergammelnden Tang verheddert lag. Ambel stand auf, um besser hinsehen zu können, und erblickte die Leiche eines riesigen Krustentieres, einer Art Hummer, aber mit mehr Flossen und Adaptationen an das Leben im Meer. Die Schale wies den schönen Schimmer von Perlmutt auf.
»Ein Gleißer«, stellte Peck das Offensichtliche fest.
»Für diese Schale würde man schon ein oder zwei Skind kriegen«, sagte Pland.
»Fast so viel wie für eine Perle«, sagte Peck und warf Ambel einen Blick zu.
»Möchtet ihr sie holen?«, fragte Anne.
Alle lachten.
»In Ordnung, Jungs, zurück auf eure Posten«, befahl Ambel. Er blickte zum Segel hinauf. »Du auch.« Das Segel entfaltete die Flügel und packte die Spieren. Der leichte Wind blähte es, und es drehte die Takelung in Übereinstimmung mit Boris’ Drehungen am Ruder; die Mastketten und Zahnräder pochten im Schiffsrumpf dumpf vor sich hin. Ambel fuhr fort: »Peck und Pland an die Harpune und die Taue. Du besetzt den Ausguck, Anne. Noch ’n paar Stunden, und wir sind hier raus und haben Kurs auf die Futtergründe, schätze ich.« Ambel entspannte vorsichtig den Hahn der Donnerbüchse und setzte den Kolben auf dem Deck auf. Die Waffe, die halb so schwer wie ein Mensch war, verfügte wahrscheinlich über mehr Feuerkraft als Boris’ Deckskanone. Anne trat zum Kopf des Segels, als dieser sich auf das Deck senkte. Sie stieg darauf, packte den Hals der Kreatur mit der rechten Hand, und das Segel trug sie zum Mastkorb hinauf.
»Die Futtergründe, meine Fresse«, sagte Boris und ahmte dabei Pecks Tonfall perfekt nach. Als Anne an ihm vorbei nach oben getragen wurde, lachte sie und steckte ihre Automatik ins Halfter.
»Seht es mal so«, wandte sich Ambel an alle, nachdem er den Kommentar gehört hatte. »Wir kriegen eine ordentliche Ladung an Bord und brauchen nicht die ganze Eissaison über rauszufahren. Dann heißt es Seerohr-Rum und Kuppelfressalien für einen Sechsmonat.«
»Klingt mehr danach, wie ein ausgenommener Fisch an Land zu kriechen«, brummte Peck.
Ambel sah ihn an. »Deine Haut fühlt sich ein bisschen lose an, was, Peck?«, fragte er.
Peck warf ihm einen Fluch an den Kopf, aber die übrigen älteren Crewmitglieder lachten erneut. Die Junioren reagierten verwirrt auf den Wortwechsel, also folgerte Ambel, dass sie Pecks Geschichte noch nicht kannten. Er lächelte vor sich hin. Vor einer Jagd war es immer so. Die Leute würden ihm anschließend danken. Wann war es schon jemals schief gegangen?, fragte er sich und versuchte, es ohne Ironie zu tun.
Die Treader folgte weiter ihrem Kurs; ihr Segel drehte sich, um den Wind optimal einzufangen, und murmelte dabei etwas über Essenszeiten, und die gelben und braunen Inseln des Sargassums fielen langsam hinter dem Schiff zurück.
Fühlt sich die Haut ein bisschen lose an?, sinnierte Peck, und bei dem Gedanken spürte er einen Juckreiz. Er kratzte sich, während er den Blick wieder von der Reling wandte und zum Kapitän hinübersah, der gerade in seiner Kabine verschwand, um die Donnerbüchse zu verstauen. Er hatte ja keine Ahnung; tatsächlich wusste keiner von ihnen, wie das war. Er blickte kurz zum Vordersegel aus Tuch hinüber und sah, dass es sich auf halbem Weg nach unten verhakt hatte.
»Das müssen wir beheben«, sagte er zu der Juniorin, die ihm half, und deutete auf das blockierte Segel. Die Frau nickte ihm zu, ging zu dem Mast empor und nahm unterwegs einen Hammer aus einem der Werkzeugfächer. Flink stieg sie am Mast hinauf und hämmerte auf den Gleitmechanismus ein, bis die untere Spiere richtig einrastete und das Segel spannte. Peck sah wieder zur Kabine hinüber und empfand das überwältigende Bedürfnis, das zu verkünden, was verborgen war, etwas, das der Skinner ihm gerade hatte verraten wollen.
Komm.
Er spürte den Ruf bis ins Knochenmark und in den Kern seines ganzen Wesens. Wie wäre es, wenn man … so war? Welche Geheimnisse barg es?
»Diese Harpunen wetzen sich nich’ von selber, Peck«, sagte Pland und rollte im Vorbeigehen eines der Harpunentaue auf. Peck sah den Schiffskameraden an und fragte sich, ob er es auch spürte.
»Pland, spürst du …«
»Peck! Diese Harpunen wetzen sich nicht von selbst!«, brüllte Ambel, der
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