Neal Asher - Skinner-Der blaue Tod
machte Schwimmbewegungen und griff mit den Tentakeln nach dem rasch davonsinkenden Meeresboden, als er zur Wasseroberfläche hinaufstieg. Er erhob sich darüber und beschleunigte mit gesenkter Schnauze nach Osten, viel schneller, als irgendein Artgenosse sich je fortbewegt hatte. Vielleicht eingedenk der Tatsache, wie wenig Kontrolle er über seine Lage hatte, schloss er die Augen und ringelte die Tentakel zu Knäueln zusammen. Sniper bedauerte, dass er die Fusionsbooster nicht auch einsetzen konnte, aber Gleiten mit Antischwerkraft musste für den Moment reichen. Nach hundert Kilometern tunkte er den Karpfen ins Meer und tastete den Körper ab, während sich die Haut wieder durchfeuchtete. Die peristaltischen Herzarterien der Kreatur waren in gutem Zustand, und der Mikrotransponder hatte kein Signal gesendet. Darüber hinaus wirkte die Kreatur nur etwas benommen. Mit der nächsten Spritztour beförderte Sniper sie zweihundert Kilometer weit – und das mit beträchtlich höherer Geschwindigkeit. Wiederum schien es dem Karpfen gut zu gehen. Als Sniper schließlich die Widerstandsfähigkeit der Kreatur ausreizte, beförderte er sie wirklich schnell und war beeindruckt. Diese Karpfen waren zäh! Sniper rechnete sich aus, dass sie noch etwa einen Solstan-Tag brauchten, um das zu erreichen, was auf Spatterjay lachend als Zivilisation bezeichnet wurde.
Ein weiterer Abend rückte heran, und Janer staunte über die gleichmäßige Dünung und Friedlichkeit des Lebens auf diesem Meer. Er hatte zuvor etwas in dieser Richtung zu Roach gesagt, und der zerlumpte kleine Mann hatte ihn mit einem Blick bedacht, als hielte er Janer für total bekloppt. Nach unbehaglichem Schweigen meinte Roach schließlich: »Ein Spruch vom Käp’n lautet: ›Ist wie im Krieg – ausgiebige Zeiten der Langeweile, unterbrochen von Augenblicken schieren Grauens.‹ Ich denke also nicht, dass friedlich das richtige Wort ist.« Und damit verzog sich Roach, um weiter nach Boxys zu angeln. Jetzt lehnte Janer an der Reling und blickte zur Seite, als Erlin neben ihn trat. Anders als er trug sie keinen Thermoanzug. Er fragte sich, ob er selbst auch darauf verzichten würde, sobald das Virus sein System fester in den Griff bekommen hatte. Er studierte Erlins Profil ausgiebig und spürte so etwas wie Verlangen unter dem Brustbein. Diese Frau war so interessant und vielleicht deshalb so attraktiv für ihn.
»War es früher auch so?«, erkundigte er sich.
Sie warf ihm einen Blick zu, ehe sie sich wieder dem Meer zuwandte. »Meistens«, antwortete sie.
Janer wirkte nachdenklich. »Wissen Sie, nach dem, was Sie sagten und was ich von einigen Leuten der Besatzung gehört habe, hat sich hier seit langem nicht mehr viel verändert.« Er deutete mit dem Kopf auf Ron. »Da fragt man sich doch, ob die da vielleicht der Grund dafür sind.«
»Was meinen Sie damit?«, fragte Erlin.
»Na ja, sie sind hier die Herrscher, vom Titel mal abgesehen, also möchten sie vielleicht einfach nicht, dass sich etwas ändert. Die Absicht ist womöglich nicht mal eine bewusste.«
»Damit könnten Sie Recht haben«, räumte Erlin ein.
»Ich denke, das habe ich«, sagte Janer. Sie beide versanken jetzt in behaglichem Schweigen. Janer fühlte sich ruhig und entspannt. Er hörte kaum das Ratschen und Klappern der Schiffsmechanismen.
»Sie waren ganz schön lange hier, oder?«, fragte er nach einer Weile.
»Achtzig Jahre lang, mehr oder weniger. Ich habe kaum Erinnerungen an viele dieser Jahre. Ich schätze, das ist so, wenn nicht viel passiert.«
»Wie war es, als Sie zum ersten Mal herkamen und das Virus entdeckten … das unheimliche Arrangement hier?«, wollte er wissen.
Erlin zeigte ein besorgtes Gesicht und warf ihm einen abwägenden Blick zu.
»Damals sind einige komische Sachen geschehen, aber es liegt so lange zurück, dass ich mich manchmal frage, ob mir das Gedächtnis nicht Streiche spielt.« Ihr schauderte, als spürte sie allmählich die Kälte.
»Na ja, belassen Sie es nicht einfach dabei. Jetzt müssen Sie es mir erzählen«, sagte Janer.
Sie starrte ihn an, und ihr Gesicht wirkte auf einmal hart. »Warum sollte ich das tun?«
Janer erwiderte den Blick. »Weil wir in einer vergleichbaren Situation sind. Wir nähern uns beide dem Zeitpunkt in unserem Leben, an dem wir uns fragen, warum wir weitermachen sollten. Sie sollten es mir erzählen, weil es Ihnen vielleicht neue Einblicke eröffnet und weil Sie nichts verlieren, wenn Sie es mir sagen, sondern sogar Zeit
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