Nebel ueber Oxford
Champagner und belauschte im Vorübergehen die eine oder andere Unterhaltung.
»Er war immer ein so lieber Junge.« Der vorsichtig geäußerte Satz kam von einer älteren Person. Kate blickte sich um und sah eine große, dünne Frau, die trotz des klaren, blauen Himmels und des warmen Wetters Tweedkostüm und Regenmantel trug. Ihr weißes Haar ließ nicht darauf schließen, ob es einmal rot gewesen war, aber die Augen der Frau waren so blau wie die aller Dolbys. Kate war sicher, es mit einer Verwandten der Familie zu tun zu haben.
»Aber seine Freundin ist irgendwie merkwürdig und sieht furchtbar aus.« Während sie weitersprach, verzogen sich ihre runzeligen Mundwinkel nach unten. »Aber so ist die Jugend von heute nun einmal. Die jungen Leute haben keinen Stolz mehr. Sie zeigen ihre nackten Bäuche und wer weiß, was sonst noch.«
»Zumindest ist sie weder frech noch trägt sie irgendwelche Piercings«, antwortete die andere.
»Hast du eine Ahnung, wie sie heißt und aus welcher Familie sie stammt?«
»Sie heißt wie eine irische Grafschaft.«
»Sehr seltsam!«
»Ich habe keine Ahnung, wo sie herkommt. Vielleicht aus Irland. Ich hoffe nur, dass sie nicht zu den Römern gehört.« Kate vermutete, dass sich diese Bemerkung auf die Religionszugehörigkeit bezog und nicht auf die Einwohner der italienischen Hauptstadt anspielte.
»Glaubst du, dass es etwas Ernstes ist?«
»Bestimmt nicht. Außerdem ist Sam noch viel zu jung, um sich jetzt schon eine Frau zu suchen. Er geht demnächst nach China; anschließend nimmt er sein Universitätsstudium auf. Mit ein bisschen Glück hat er sie im kommenden Jahr längst vergessen.«
»Wenn es um Ehefrauen geht, haben alle Dolbys einen seltsamen Geschmack.«
Was mochten die Dolby-Tanten wohl geunkt haben, als sie selbst noch mit George Dolby zusammenlebte, dachte Kate. Sie ging davon aus, dass die Kommentare damals ebenso unfreundlich gewesen waren wie nun die über Kerri. Wer auf solide Werte hielt, für den war eine Autorin nun einmal keine gute Partie.
Kate wollte sich jedenfalls von keinem Kommentar beeinflussen lassen und sich eine eigene Meinung über Sams Freundin bilden. Sie überholte die beiden Frauen und ging an zwei Männern in hellen Chinos vorbei, die ebenfalls ins Gespräch vertieft waren. Hier ging es allerdings nicht um Sam, soweit es Kate verfolgen konnte.
»Wenn er den Antrag nicht vernünftig stellt, haben wir ein verdammtes Problem«, sagte einer der beiden gerade.
»Falls er Mist baut, wird er kündigen müssen«, antwortete der andere Mann. »Er könnte uns nicht mehr ins Gesicht sehen.« Er war der jüngere der beiden und sah nicht schlecht aus, wie Kate fand.
»Seine eigene Zukunft steht ebenso auf dem Spiel wie unsere, daher nehme ich an, dass er sein Bestes gibt.«
»Hoffen wir, dass es gut genug ist.«
»Wenn nicht, wirst du der Sache ein Ende machen müssen. Natürlich hängt alles von den Resultaten ab. Gibt es schon irgendetwas Brauchbares, Blake?«
»Es ist noch zu früh, darüber zu sprechen.«
»Verschwiegen wie immer. Aber warte nicht mehr allzu lang, sonst wird es heißen, dass du dich bedeckt hältst, weil ihr noch gar keine Resultate habt.«
Der jüngere Mann lachte wenig überzeugend. »Candra wird das Kind schon schaukeln.«
»Letztendlich ist alles ohnehin eine Frage der Interpretation.«
»Bis zu einem gewissen Punkt gebe ich dir da sogar recht. Aber um ein Scheitern mache ich mir die wenigsten Sorgen.«
»Wie du meinst.«
Die beiden Herren nippten an ihrem Champagner, als hätte man sie gezwungen, Apfelessig zu trinken. Ach ja, der Stress des Akademikerlebens!, dachte Kate nur. Für die vielen Wochen bezahlten Urlaubs, die Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall und die Pensionskasse hätte sie mit Kusshand ein paar Unannehmlichkeiten in Kauf genommen. Entschlossen steuerte sie auf das Buffet zu.
Überall auf dem Rasen fanden sich kleinere Ansammlungen von Dolbys. Kate erkannte sie an der Art, sich zu kleiden (Typ unverwüstlich), ihrer Körpergröße (fast immer größer als der Durchschnitt) und ihren roten Haaren. Zu ihrer Rechten entdeckte sie eine in Beige gekleidete Dame, an deren Rockzipfel ein rothaariges Kleinkind hing, und erkannte Emmas Mutter Joyce Fielding. Sie sah älter und verhärmter aus als zwei Jahre zuvor. Damals war sie plötzlich verschwunden, und Emma hatte Kate angeheuert, um nach ihr zu suchen. Joyce streichelte dem kleinen Mädchen den Kopf, nahm es bei der Hand und ging langsam auf eins der
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