Nebelflut (German Edition)
Wohnung zustürmte. Als dies nicht geschah, entspannte er sich sichtlich. Er löste die Kette, öffnete die Tür und bat Patrick mit einer Handbewegung herein.
»Ich muss dich abtasten.«
»Nur zu.«
Bei seinen ersten Besuchen hier hatte Jerzys Gehabe ihn beeindruckt. Mittlerweile war es Gewohnheit, ein Teil des Ganzen, dessen Fehlen ihm komisch vorgekommen wäre. Dealer waren paranoid, Junkies genauso. In einer von Misstrauen geprägten Atmosphäre konnten Rituale überlebenswichtig sein. Und waren sie noch so unsinnig.
»Gut, du bist sauber. Komm mit.«
Patrick folgte Jerzy durch den lang gezogenen Flur.
»Keinen Bedarf also?« Jerzys schwerer osteuropäischer Akzent ging ihm bei jedem seiner Besuche aufs Neue auf die Nerven. Soweit Patrick wusste, war er in Dublin geboren und aufgewachsen, aber er sprach, als käme er aus der tiefsten Ukraine.
»Du weißt doch wie’s läuft.« Patrick blickte sich in der Wohnung um. Die Wände des Korridors waren gleichermaßen mit Schimmel und Postern von Autos und nackten Frauen bedeckt. Drei verzogene Holztüren führten von hier aus in die Küche, ins Bad und in einen Raum, den Jerzy stets verschlossen hielt. Vermutlich fand dort sein Privatleben statt.
»Ist nicht gesund, wie’s bei dir läuft. Keine halben Sachen, verstehst du? Das ist nicht gut für dich. Nicht hier …« Er schlug sich vor die Brust. »… und hier auch nicht.« Er tippte sich an die Stirn.
Patrick zog eine Augenbraue hoch. »Wer von uns ist der Arzt, du oder ich?«
»Du bist Experte auf deinem Gebiet, kolega, und ich auf meinem.« Jerzy grinste und entblößte eine Reihe von Zähnen, die alles andere als gesund aussahen. »Also, was brauchst du?« Er löste sich von der Tür und machte ein paar Schritte auf die Küche zu. Seine Füße schlurften dabei geräuschvoll über den Teppichboden.
»Um ehrlich zu sein, bin ich nicht deswegen hier. Nicht nur.« Patrick war sich nicht sicher, wie er das Thema am besten ansprechen sollte.
»Wenn du nichts kaufen willst, verschwinde. Ich hab keine Zeit für dämlichen Small Talk.« Jerzy wirkte nicht unbedingt beschäftigt, doch er hatte eine Unruhe an sich, die Patrick nicht gefiel.
»Was ist, hast du Geldprobleme?« Die Frage war unbedacht. Sie klang so und sie fühlte sich auch so an. Aber jetzt war es zu spät.
Jerzy hatte seinen herausfordernden Tonfall offenbar nicht überhört. Er drehte sich zu Patrick um und das Grinsen auf seinem scharf geschnittenen Gesicht war angriffslustig. »Was soll die blöde Frage?«
Patrick entschied sich, zur Sache zu kommen. »Mein Wagen wurde gestohlen. Vorletzte Nacht in Glencullen.«
»Ach.« Jerzy setzte sich an den Küchentisch und blickte Patrick an. »Und jetzt hast du mich im Verdacht?« Der Pole wies auf sich selbst, dann lachte er leise und schüttelte den Kopf, während er den Blick auf die fleckige Tischplatte senkte.
»Was?« Patrick betrat langsam die Küche. Er war noch immer auf der Hut, denn er wusste, dass Jerzy nicht so harmlos war, wie er aussah. Als ihm der Pole empfohlen worden war, kurz nach der ersten Line seines Lebens, war er gewarnt worden, dass Jerzy nicht nur ein Dealer, sondern auch ein jähzorniger Schläger war, der neben Koks mit Schlagringen, Butterflys und Schusswaffen handelte.
»Du machst es dir einfach, mein Freund! Wenn dich jemand auf der Straße überfällt oder dich am Geldautomaten ausspäht und anschließend dein Konto leer räumt, war das dann auch ich?« Jerzy lachte wieder. »Weil ich der einzige Kriminelle bin, den du kennst? Ist es das, du Saubermann?«
Patrick wusste nicht, was er sagen sollte. Natürlich hatte Jerzy Recht. Er war der Einzige aus seinem Bekanntenkreis, der sein Geld nicht ehrlich verdiente. Aber war es wirklich logisch, ihn deshalb auch für den Autodiebstahl verantwortlich zu machen?
»Du kennst mein Kennzeichen und du weißt, was für einen Wagen ich fahre. Vielleicht kaufe ich zu wenig für deinen Geschmack und du dachtest, du machst ein zusätzliches Geschäft.« Patrick blickte sich in der kargen Küche um. Es roch gammelig und nichts hier drin zeugte davon, dass gerade erst Weihnachten gewesen war.
»Ein Geschäft mit deiner Blechkiste?« Jerzy stand auf. »Ich glaube, das glaubst du selber nicht.« Der Pole machte ein paar Schritte auf ihn zu und blieb vor ihm stehen.
Patrick musste zugeben, dass er Recht hatte. Sein Wagen war alt und verbeult, er hatte es nie geschafft, ein Auto als Statussymbol zu betrachten und sich dementsprechend
Weitere Kostenlose Bücher