Nebelflut (German Edition)
schön voll der Laden. Danke.«
»Ich glaube, in Temple Bar gibt es mehr Touristen als Einheimische.« Brady stellte sich Chloe gegenüber.
Sie lachte und trank einen Schluck. »Also, Mister McCarthy.«
»Brady«, sagte er und kam sich unhöflich vor, weil er sich noch nicht vorgestellt hatte.
»Also, Brady. Sie haben mich herbestellt, nachdem Sie mich lange genug schmoren lassen haben.«
»Ich musste nachdenken.«
»Besonnenheit ist die Tugend der Frau.«
»Ach, tatsächlich?«
»Natürlich. Männer sollten mutig sein und ohne Zweifel.«
»Warum glaube ich nur, dass Ihnen diese Weisheit gerade besonders gut in den Kram passt?«
Chloe zuckte mit den Achseln und grinste. »Vielleicht ist das einfach Ihre Interpretation.«
Brady sah auf und für einen Moment schauten sie sich in die Augen. Dann wandte er den Blick ab und trank. »Also … bevor ich Ihnen Auskunft gebe, möchte ich von Ihnen wissen, wer Ihr Informant war.«
»Keine Chance.« Chloe nippte an ihrem Glas.
»Ist es Sean Callahan? Lacey O‘Malley? Kilian Westwood?«
»Halt, halt!«, lachte Chloe und hob abwehrend die Hände. »Wenn Sie mir schon so viele Informationsquellen nennen, dann möchte ich mir zumindest die Namen notieren.«
Brady verzog das Gesicht und leerte sein Murphy’s mit mehreren, großen Schlucken.
»Jetzt mal ernsthaft, Brady. Ich kann meinen Informanten nicht verpfeifen. Stellen Sie sich vor, es wäre die Putzfrau. Sie würden die arme Frau sofort feuern. Das kann und will ich nicht in Kauf nehmen. Aber ich kann Ihnen versprechen, dass ich meine Quelle nicht mehr kontaktiere, wenn Sie sie jetzt ersetzen.«
»Keine Infos mehr in der Zeitung, die ich nicht ausdrücklich erlaube.«
Chloe führte zwei Finger an die Lippen. »Ehrenwort.«
»Und Sie nennen keine Namen.«
»Sie bleiben vollkommen anonym, versprochen.«
Brady blickte sie zweifelnd an.
»Überlegen Sie doch mal: Ich brauche nur eine Story, je näher an der Wahrheit, desto besser. Sollte ich es mir mit Ihnen verscherzen, dann habe ich niemanden mehr. Ich kann ja wohl kaum reumütig zu meinem ersten Informanten zurückkehren, oder was denken Sie?«
»Keine Ahnung, wie das bei Ihnen so läuft.«
Chloe schüttelte den Kopf. »Sie schätzen mich völlig falsch ein.«
»Meinen Sie?«
»Weiß ich. Ich mache Ihnen einen Vorschlag.« Sie holte einen Stift hervor. »Sie erzählen mir jetzt, was ich wissen muss, und danach lernen Sie mich ein wenig besser kennen.«
Brady wollte etwas einwenden, aber er kam nicht dazu.
»Nur damit Sie verstehen, dass Sie mir trauen können.«
Verwundert beobachtete Brady, wie sie ein Notizbuch aus ihrer Handtasche kramte. Er dachte, dass er der einzige Mensch war, der noch auf die altmodische Art arbeitete. Er hätte bei Chloe eher mit einem Smartphone oder zumindest einem Diktiergerät gerechnet. »Also schön. Wo fange ich an?«
»Bei den neuesten Erkenntnissen.« Chloe befeuchtete ihre Lippen, dann lehnte sie sich zurück und hörte zu.
-35-
Es war bereits weit nach der Sperrstunde, als Brady mit Chloe an seiner Seite den Zugang durch Merchants Arch nahm und auf die Half Penny Bridge zusteuerte. Er war angetrunken und hatte das Gefühl, dass sein Plan, Chloe abzufüllen, mächtig in die Hose gegangen war. Die Reporterin kam ihm stocknüchtern vor und hatte ihn untergehakt, weil er mehr Schlagseite hatte, als ihm lieb war.
»Ah, die Ha’Penny«, lallte er. Seine Zunge war schwer und wollte ihm einfach nicht gehorchen.
»Eine schöne Brücke, ja.«
Brady schüttelte energisch den Kopf und zog Chloe hinter sich her. »Nich’ irgendeine Brücke. Wenn man von da ’n Geldstück in die Liffey wirft, kann man sich was wünsch’n.«
Chloe folgte ihm lachend.
Brady suchte in seinen Jackentaschen nach Geld, dann beugte er sich übers Geländer.
»Vorsicht!« Chloe griff nach seiner Jacke und hielt ihn fest. »Du fällst noch rein.«
»Aaaach was.« Brady holte aus und warf eine 10-Cent-Münze in den Fluss. »Jetz’ du.« Er drückte ihr ein paar Münzen in die Hand.
»Okay …« Chloe ließ ihn nur zögerlich los. »Dann wollen wir mal.« Einen Augenblick lang starrte sie besonnen auf die Wasseroberfläche, dann öffnete sie die Hand und ließ einige Geldstücke in die Liffey plumpsen.
»Da geht wohl eine auf Nummer sicher.«
»Ja.« Chloe lehnte sich gegen das Geländer und blickte über den Fluss. Zahlreiche Lichter brachen sich auf der unruhigen Wasseroberfläche. »Wie schön es hier ist …«
Brady stellte sich
Weitere Kostenlose Bücher