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Nebelflut (German Edition)

Nebelflut (German Edition)

Titel: Nebelflut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine d’Arachart
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neben sie und versuchte, Dublin mit ihren Augen zu betrachten. Er wusste um die zahlreichen Junkies und Obdachlosen, die sich im Kern der Innenstadt in vermoderten Löchern versteckten, wusste um die Jugendlichen, die nur darauf warteten, einen betrunkenen Partygast zu überfallen und seiner Wertsachen zu berauben. Keine Frage, Brady kannte die Schattenseiten seiner Heimat nur zu gut. Schattenseiten, die jede größere Stadt in sich barg. Und trotzdem übermannte ihn auf einmal die Schönheit Dublins. Das Farbenspiel der angestrahlten Brücken auf dem Wasser, der Lichtkanal, den die beleuchteten Gebäude und die mit Weihnachtslämpchen behangenen Bäume links und rechts der Liffey bildeten, das Stimmengewirr gepaart mit der schwungvollen Musik von vereinzelten Straßenmusikern.
    »Gib zu, es ist hinreißend«, hauchte Chloe und schmiegte sich an ihn.
    Automatisch legte Brady einen Arm um ihre Hüfte und zog sie an sich. Chloe sah ihm tief in die Augen, dann küsste sie ihn. Brady fühlte sich überrumpelt, wenn auch nicht überrascht. Den ganzen Abend war die Stimmung zwischen ihnen beiden irgendwie vertraut gewesen. Sie hatten sich wie alte Freunde unterhalten, hatten gelacht und zusammen geschwiegen wie Seelenverwandte, die keine Worte brauchten, um einander zu verstehen. Mit geschlossenen Augen erwiderte er ihren Kuss und spürte, wie all sein Blut in seine Lendengegend strömte.
    Nach wenigen Sekunden war der Augenblick vorbei und Chloe löste sich von ihm. »Komm, ich bringe dich nach Hause.«

-36-
    Es mochte um die drei Uhr sein, als Patrick plötzlich von Tammies kläglichem Weinen aufschrak. Im ersten Moment rasten längst verblasste Bilder vor seinem inneren Auge vorbei: Seine Hände an Mollys Hintern, seine Lippen auf ihren, ein Teddy, der im Dreck landete, Tränen in großen Kinderaugen … Dann war er in der Realität angekommen und sah seine Tochter in der Schlafzimmertür stehen, viel zu klein und schutzlos, ihre Stoffkatze fest an sich gepresst.
    Sofort stand Grace auf und war bei ihr, nahm sie auf den Arm und redete leise auf sie ein. »Tammie, Schatz, was ist denn? Hast du schlecht geträumt?«
    Patrick hörte die Verwirrung in ihrer Stimme, denn seit Tammie all ihre Milchzähne hatte, war sie nachts nicht mehr heulend aufgewacht. Bis heute.
    »Da war jemand in meinem Zimmer. Der war ganz schwarz. Und dann hat er sich in Luft aufgelöst.«
    Schlagartig war Patrick hellwach.
    »Unsinn, du hast geträumt«, versuchte Grace, Tammie zu beruhigen.
    Patrick hingegen sprang auf und hastete an den beiden vorbei aus dem Schlafzimmer.
    »Patrick?«
    Grace klang jetzt noch verwunderter, doch er achtete nicht auf sie. Er stürmte in Tammies Zimmer und knipste das Licht an. Es war leer. Er schaute unter dem Bett nach, dann in Tammies weißem Kleiderschrank. Nichts. Er kontrollierte das Fenster, aber es war fest verschlossen und der Riegel war vorgelegt. Das musste nichts heißen. Patrick verließ das Zimmer und begann, die anderen Räume abzusuchen.
    »Patrick …« Grace folgte ihm mit Tammie auf dem Arm, die jetzt den Daumen im Mund hatte und schon wieder schläfrig wurde. »Sie hat nur schlecht geträumt …«
    Patrick wollte nicht zuhören. Nachdem er auch im Bad niemanden entdeckt hatte, lief er herunter ins Erdgeschoss, um dort die Fenster und die beiden Türen zu kontrollieren. Er hörte Grace seufzen, dann verschwand sie mit Tammie im Kinderzimmer.
    Obwohl Patrick in diesem Moment glaubte, hundert verdächtige Geräusche zu hören und hundert unheimliche Schatten zu sehen, konnte er im Erdgeschoss nichts Ungewöhnliches finden. Durch sämtliche Fenster versuchte er, auffällige Bewegungen im Garten oder Vorgarten auszumachen, aber da war nichts und auch das Gästehaus lag dunkel und still da. Er suchte mit Blicken die Garage ab, als plötzlich eine Hand seine Schulter packte. Patrick fuhr herum, vorbereitet auf alles Mögliche, und verfluchte sich schon dafür, dass er die Waffe nicht dabei hatte, doch natürlich war da nur Grace in ihrem fliederfarbenen Nachthemd und mit Sorge im Blick.
    »Tammie ist im Bett, Liebling. Lass uns auch wieder schlafen gehen.«
    Eine ganze Weile lagen sie schweigend nebeneinander und Patrick konnte förmlich spüren, wie es hinter Graces Stirn arbeitete. Dann ergriff sie plötzlich das Wort. »So was hatte sie noch nie. Solche Albträume.«
    »Ich weiß.«
    Wieder sagte Grace eine Weile nichts, dann drehte sie sich zu ihm um und er spürte ihren Blick auf sich

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