Nebelflut (German Edition)
ihrem Nachthemd vor sich. Mit ihrem Teddy in der Hand. Mit ihren großen braunen Augen. Er spürte Tränen seine Kehle hinaufsteigen.
McCarthy trat hinter seinen Stuhl und legte die Hände auf die Lehne. »Oder gehen wir die Sache vielleicht ganz falsch an, Namara?«
»... was meinen Sie?«
»Ich meine, dass Sie scheinbar dauernd in mysteriöse Todesfälle verstrickt sind.« Der Detective richtete sich auf und machte ein paar Schritte durch den Raum. »Ein Opfer erschießen Sie, eines erschlagen Sie mit einem Torfstecher. Ich frage mich, was Sie damals mit Ihrer Schwester gemacht haben.«
Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, bis Patrick aufgesprungen und mit einem Satz bei dem jüngeren der beiden Polizisten war. Er packte ihn am Kragen und donnerte ihn gegen die Wand. »Was wollen Sie damit sagen, McCarthy?? Was zur Hölle–«
»Ein kleines Mädchen ist doch leichte Beute für einen wie Sie!«
»Brady!« Callahan hatte sich unbemerkt erhoben, schob sich zwischen Patrick und seinen Kollegen und trennte die beiden müheloser, als Patrick erwartet hätte. »Reiß dich zusammen, verdammt noch mal!«
McCarthy starrte den Älteren an und seine Augen waren voller Zorn. Er verkniff sich sichtlich eine Bemerkung, dann richtete er seine Kleider und wandte sich ab. Callahan drehte sich zu Patrick um, der sich an der Wand abstützen musste. Alles drehte sich, wie in einer Endlosspirale. Und es ging abwärts.
»Setzen Sie sich bitte wieder, Mister Namara.«
Patrick ging wie ein gemaßregelter Schüler zurück zu seinem Stuhl und nahm Platz. Er starrte die Tischplatte an und versuchte, das Foto so gut es ging zu ignorieren. Auch Callahan setzte sich, während es McCarthy scheinbar immer noch schwerfiel, seinen Zorn in den Griff zu kriegen.
»Mister Namara. Sie müssen zugeben, dass das alles für uns ein wenig eigenartig aussieht.«
»Aber ich war es nicht«, presste er atemlos hervor.
»Das mag sein, aber für mich spricht im Moment Einiges gegen Sie. Außerdem sind Sie mir etwas zu nervös für den Ahnungslosen, den Sie hier spielen.«
Patrick sagte nichts. Dass er nervös war, konnte er kaum von der Hand weisen. Er spürte Callahans Blick noch einen Moment lang auf sich ruhen, dann begann der Beamte, sich Notizen zu machen. »Sie bleiben also dabei, dass Sie mit den beiden Morden trotz der Indizien, die auf Sie hinweisen, nichts zu tun haben.«
»Ja.«
»Ich möchte Sie daran erinnern, dass Ihnen ein Geständnis vor Gericht positiv ausgelegt würde.«
»Mein Auto wurde gestohlen. Als ich es zum letzten Mal gesehen habe, lagen keine Mordwaffen im Kofferraum, das können Sie mir glauben. Wenn ich der Täter wäre, hätte ich es doch angezündet oder versenkt oder so was!«
Er hörte McCarthy verächtlich schnauben. »Blöd aber auch, dass Sie erst jetzt darauf kommen!«
Callahan blickte auf. »Gut, Mister Namara. Wenn Sie bei Ihrer Meinung bleiben und nicht das Gefühl haben, dass Sie Ihr Gewissen erleichtern möchten, können Sie uns sicher Ihre Alibis nennen.«
»In der Nacht vom fünfundzwanzigsten auf den sechsundzwanzigsten war ich bei meinen Eltern in Glencullen, das hatten wir doch schon.«
»Sie könnten sich fortgeschlichen haben.«
»Habe ich aber nicht.« Auch wenn es anders war, würde er sich hüten, das zuzugeben.
»Und an Silvester? Gegen Mitternacht? Da wird es ja wohl Menschen in Ihrer Nähe gegeben haben, die nicht geschlafen haben.«
Silvester. Gegen Mitternacht. Patrick spürte, wie ihm erneut der Schweiß ausbrach. Ausgerechnet Silvester. Ausgerechnet diese Uhrzeit. Klar, da hatte es Menschen um ihn herum gegeben, die in zumindest halbwegs wachem Zustand gewesen waren: Jerzy, die Blondine mit dem verschmierten Lippenstift, den Cousin, der gerade noch mal dem Tod von der Schippe gesprungen war … Nur konnte er von denen leider unmöglich etwas erzählen, ohne sich noch tiefer in die Scheiße zu reiten.
»Silvester waren meine Frau und ich auf einer Party. Fragen Sie sie. Wir waren die ganze Zeit zusammen.« Er spürte, dass seine Stimme zu versagen drohte. Graces enttäuschter Blick waberte wie ein Traumbild vor seinem inneren Auge. Er hätte sie beinahe geschlagen. Ihre Ehe war, scheinbar ohne dass er es gemerkt hatte, so kaputt gewesen, dass sie sich einen anderen gesucht hatte. Er konnte nur hoffen, dass es noch etwas in ihr gab, das sie dazu brachte, für ihn zu lügen. Hoffentlich zog sie nicht die falschen Schlüsse aus seinem angeblichen Besuch bei dem
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