Nebelflut (German Edition)
hatten um diese Zeit längst geschlossen oder kündigten die letzte Runde an. Vor den wenigen Lokalen, die eine Sonderlizenz beantragt hatten, drängten sich nun zahlreiche Feierwütige und versuchten irgendwie am Bouncer vorbei ins überfüllte Innere zu kommen. Das Stimmengewirr und die laute Musik der Straßenmusiker taten Brady gut. So konnte er sich wenigstens nicht auf das Chaos in seinem Kopf konzentrieren.
Er steuerte eine Seitenstraße an, in der sich die Menschenmenge in Maßen hielt. Hier befand sich seine Stammkneipe, in der er auch um diese Uhrzeit noch ein Pint bekommen würde. Brady begrüßte den dicklichen Bouncer, der mehr Ähnlichkeit mit einem Maskottchen als mit einem richtigen Türsteher hatte, und ging direkt auf die Bar zu.
»Marty!«
»Brady!« Der Barkeeper beugte sich über die biernasse Theke und klopfte ihm auf die Schulter. »Ein Murphy’s?«
»Gerne, und eins für dich.« Brady schaute sich nach einem freien Barhocker um. Zu seinem Glück beschloss ein Pärchen gerade, den Heimweg anzutreten. Der junge Mann versuchte, seine betrunkene Freundin nach draußen zu befördern, was ihn alle Mühe kostete. Offenbar wollte das Mädchen noch weiterfeiern. Sie protestierte lautstark, hatte gegen ihren drahtigen Freund jedoch keine Chance.
Marty sah amüsiert zu den beiden herüber. »Carol und Michael. Die sind ständig hier und jedes zweite Mal gehen sie streitend.«
Brady setzte sich an die Bar und Marty stellte ihm sein Bier hin. Die Musik machte es unmöglich, über die Theke hinweg ein anständiges Gespräch zu führen und Brady war froh darüber. Ihm war nicht nach Reden. Er ließ den Blick durch das Lokal schweifen und dachte an Chloe. Wenn er sie jetzt anrief, würde sie ihn vermutlich für einen Stalker halten, einen durchgeknallten, obsessiven Bullen. Wenn er ihr jedoch eine SMS schrieb, konnte sie ihm zwanglos am nächsten Morgen antworten.
Es bedurfte noch eines weiteren Glases, bis er die Nachricht fertig hatte. Er hoffte, dass sie unverfänglich und interessiert zugleich wirkte, ohne dass sich Chloe zu irgendetwas gedrängt fühlte. Kompliziert. Brady las sein Meisterwerk noch einmal durch.
Hallo Chloe, hier ist Brady.
Lust dich mal wieder mit mir
zu treffen? Auch ohne
Informationsaustausch? Brady.
Beim zweiten Mal lesen klang die SMS nicht halb so gut, wie er es beim Schreiben gedacht hatte. Die Sätze waren belanglos. Er sollte es erneut versuchen.
»Brady?«
Ertappt fuhr er herum, darauf gefasst, Chloe zu entdecken, die ihm die ganze Zeit über die Schulter geschaut hatte. Doch vor ihm standen nur Lacey O‘Malley und ihr Mann Stephen.
»Hey, ihr zwei.« Er lächelte schief.
»Du hier und nicht im Dezernat?« Lacey setzte sich auf den freien Hocker neben ihm und Stephen zog sich einen weiteren heran.
»Ja.«
»Ich dachte, ihr müsst durcharbeiten. Glück gehabt.«
»Es gibt nichts durchzuarbeiten.« Brady griff nach seinem Glas und leerte es.
»Warum so mürrisch?« Lacey orderte drei Cider. Als sie sich wieder umdrehte, zuckte Brady mit den Schultern.
»Aach …«
»Jetzt sag’ schon, was bedrückt dich?«
»Der ganze beschissene Fall.«
»Pass auf, dass du nicht wie Sean endest.« Lacey lachte und nahm die Getränke entgegen. Stephen bezahlte stumm und setzte sich dann wieder.
»Ich werde noch schlimmer. Danke.« Brady nahm das Cider-Glas und trank einen Schluck. Er konnte dem süßen Getränk nicht viel abgewinnen, aber Lacey schien, genau wie Chloe und wahrscheinlich jede andere Irin auch, süchtig danach zu sein.
»Ich meine es ernst. Damals, bevor Amy Namara verschwunden ist, war er wie du. Nicht zu bremsen, immer mit dem Kopf durch die Wand.«
»Das wusste ich gar nicht.«
»Wie auch? Du warst damals noch nicht bei uns. Und ich hatte auch gerade erst angefangen. Jedenfalls wurde der Namara-Fall Sean zugeteilt.«
»Ach nee.« Brady musste unwillkürlich grinsen und auch Lacey konnte sich ein erneutes Lachen nicht verkneifen.
Nur Stephen blieb ernst. Er legte einen Arm um die Schultern seiner Frau und lauschte dem Gespräch schweigend. Brady mochte Stephen. Er hatte ihn schon einige Male getroffen und war von der ausgeglichenen und ruhigen Art des Hünen jedes Mal überrascht gewesen. Stephen wirkte, als hätte er ständig alles im Griff, auch wenn er mit den Gedanken ganz woanders schien.
»Hättest du nicht gedacht, was? Auf jeden Fall …« Lacey bemühte sich um mehr Ernsthaftigkeit. »Auf jeden Fall hat er sich geschworen, die Kleine
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