Nebelfront - Hinterm Deich Krimi
euch gleich informiert.«
Große Jäger durchsuchte die Taschen des Mannes. Außer einem
Schlüsselbund und einem benutzten Stofftaschentuch fand er nichts.
Die beiden uniformierten Polizisten sagten zu, sich um die Abholung
des Toten und die Sicherstellung von Stuhl und Seil zu kümmern. Christoph und
Große Jäger traten ins Treppenhaus. Sofort verstummte das leise Gemurmel der
Bewohner. Mit großen Augen verfolgten die Menschen die beiden Beamten, die die
Wohnung des Toten betraten. Hohenhausen hatte nicht abgeschlossen, sondern die
Tür nur ins Schloss gezogen.
Es roch nach abgestandener Luft in dem kleinen, düsteren Flur.
Gleich neben dem Eingang befand sich das Badezimmer. Es war im Stil der
sechziger Jahre mit dunkelblauen Kacheln gefliest. Anstelle eines Spiegels hing
ein beleuchteter Badezimmerschrank über dem Becken, der nach einem Hersteller
im Volksmund oft »Allibert« genannt wurde. Über der Badewanne war ein
ausziehbarer Wäschetrockner angebracht, auf dem Unterwäsche, ein Handtuch und
zwei Paar Socken baumelten.
»Merkwürdig«, sagte Große Jäger und befühlte die Wäsche. »Das ist
noch feucht. Wer wäscht noch, wenn er vorhat, sich umzubringen? Der Entschluss
muss kurzfristig gefallen sein.«
Die Waschmaschine war ausgeräumt, auf dem Badewannenrand standen
Duschgel und Haarshampoo, im »Allibert« fanden sie einen elektrischen
Rasierapparat, Artikel zur Zahn- und Körperpflege und ein Haftpulver für
Prothesen. Große Jäger hielt zwei Medikamentenröhrchen hoch.
»Bluthochdruck und Allopurinol«, las er vor. »Ich glaube, das ist gegen
Gicht.«
»Also zu viel Harnsäure«, fügte Christoph an.
»Bin ich mit einer Arzthelferin verheiratet?«, knurrte Große Jäger.
»Zum Glück nicht«, fügte er an. Er öffnete den Toilettendeckel und zog die
Stirn kraus, enthielt sich aber eines Kommentars.
An der Garderobe im Flur hingen eine wetterfeste Jacke und ein
Mantel, ein Schal und eine Mütze fanden sich ebenfalls dort.
Die Schlafzimmereinrichtung, deren Alter deutlich aufgrund des
Nachdunkelns erkennbar war, bestand aus Birke.
»Er hat hier allein gewohnt«, sagte Große Jäger und zeigte auf das
Einzelbett, dessen Bettdecke aufgeschlagen war.
Hohenhausen musste einen unruhigen Schlaf gehabt haben. Deutlich
waren großflächig Schweißspuren auf dem Kopfkissen erkennbar.
»Er hat auch im Bett gefrühstückt.« Der Oberkommissar hatte die
Kaffeeflecken und ein paar Krümel entdeckt.
Ein Buch suchten sie vergebens. Im Kleiderschrank hingen ein halbes
Dutzend Oberhemden, ein Anzug und eine Kombination, mehrere Pullover waren
zusammengefaltet, Unter- und Haushaltswäsche, Socken … alles, was man im
Haus eines alleinstehenden älteren Herrn erwarten durfte. Auf dem Fußboden
neben dem Bett lag – ausgebreitet – die aktuelle Ausgabe der Husumer
Nachrichten.
Christoph warf einen Blick darauf.
»Komm mal her«, forderte er Große Jäger auf und zeigte auf einen
Artikel im Lokalteil. »Ist das Zufall?«
Die Berichterstattung über den Mord auf Nordstrand vom Vortag nahm
fast eine halbe Seite ein.
»Ein merkwürdiger Zufall«, sagte der Oberkommissar und kratzte sich
das Kinn, dass das Rascheln der Bartstoppeln deutlich vernehmbar war. »Das
sitzt ein alter Mann im Bett, frühstückt, liest dabei die Zeitung und
beschließt, nachdem er von der Ermordung eines anderen alten Mannes gelesen
hat, sich aufzuknüpfen. Warte mal.«
Große Jäger verschwand ins Badezimmer und kehrte kurz darauf zurück.
»Es sieht nicht so aus, als hätte Hohenhausen heute Morgen Körperpflege
betrieben. Die Zahnbürste scheint unbenutzt, die Handtücher weisen keine Spur
von Feuchtigkeit auf, ebenso die Badewanne nicht, die auch als Dusche dient.
Keine Wasserspritzer am Duschvorhang.«
»Das ist eine sehr weit hergeholte These«, sagte Christoph
zögerlich.
»Hast du eine bessere Idee?«
Christoph musste gestehen, dass er Große Jägers Theorie nicht
widerlegen konnte.
In der Küche fanden sie die noch halb gefüllte Kaffeetasse, eine mit
Butter beschmierte, nicht angebissene halbe Scheibe Graubrot, ein geöffnetes
Kännchen mit Kaffeesahne und ein Gefäß mit Zucker, dessen Deckel danebenlag.
»Der war mitten beim Frühstück, als er beschloss, sich umzubringen«,
riet Große Jäger.
Christoph stimmte ihm zu. »Alles deutet drauf hin, dass der
Entschluss sehr plötzlich gekommen ist.«
»Als er den Artikel über den Nordstrander Mord las?«
»Das hätte uns Hohenhausen nur selbst beantworten
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