Nebelfront - Hinterm Deich Krimi
den Raum. Dann nahm sie gegenüber den Polizisten
Platz.
»Ich bin ganz platt«, sagte sie atemlos. »Der Herr Hohenhausen …
So ein netter Mensch. Immer höflich, immer nett.«
»Sie kannten ihn näher?«, fragte Christoph.
»Was heißt näher? Wir waren Nachbarn. Gesprochen hat er kaum. War
mit sich wohl im Reinen. Aber wenn wir uns gesehen haben, hat er immer gegrüßt.
Hat man nicht mehr oft heutzutage, nicht?«
Sie wurden abgelenkt, als Große Jäger aus seiner Kaffeetasse trank
und dabei vernehmlich ein Schlürfen hören ließ.
»Wie lange waren Sie schon Nachbarn?«
Frau Grapengießer verdrehte kunstvoll die Augen. »So bummelig sieben
oder acht Jahre. Da ist er eingezogen. Und in all den Jahren gab es nie
Probleme. Mit anderen, da hat man das ja manchmal. Die sind laut, oder das
stinkt im ganzen Haus, wenn die was kochen. Aber vom Hohenhausen … Da hat
man nie was mitgekriegt.«
»Hatte Ihr Nachbar Besuch? Gelegentlich? Besonders in der letzten
Zeit?«
»Nö. Ganz selten mal. Manchmal kam so ’ne alte Frau. Mit ’ner
Gehhilfe. Die hab ich aber schon lang nicht mehr gesehen. Vielleicht ist sie
schon tot? Oder sie kann nicht mehr. War schon ziemlich was klapprig.«
»Und sonst?«
»Eigentlich nicht. War immer allein. Ich wollt ihn mal zum
Butterkuchen einladen. Mein Fritz ist ja nun auch schon zehn Jahre unter der
Erde. Aber er wollte nicht.« Sie grinste. »Hat wohl gedacht, ich wollte was von
ihm.« Sie zögerte einen Moment. »In der letzten Woche allerdings, da war mal
was.«
Christoph sah sie an und zog fragend eine Augenbraue in die Höhe.
»Da war eine blonde Frau da. Ich hab die nur einmal gesehen. Aber
das ist richtig aufgefallen, weil in den ganzen Jahren nie Besuch gekommen ist.
Nur die alte Frau.«
Christoph und Große Jäger wechselten einen raschen Blick. Auch auf
Nordstrand hatten die Nachbarn von einer blonden Frau gesprochen, die Adolph
Schierling kurz vor seinem Tod besucht haben soll.
»Können Sie die Frau beschreiben?«, bat Christoph.
»Blond. Nicht alt. Nicht jung.« Frau Grapengießer sah Christoph mit
großen Augen an. »Ganz normal.« Das war keine aussagekräftige Beschreibung.
Plötzlich schien ihr doch noch etwas einzufallen. »Fragen Sie doch den Gönul.
Der wohnt im nächsten Eingang. Der hat mit ihr gesprochen. Dem passt es immer
nicht, wenn Fremde hier parken. Die sollen auf die Freiheit.«
Damit meinte sie den freien Platz hinter dem nächsten Wohnblock, auf
dem Volksfeste stattfanden, Zirkusse ihr Zelt aufbauten und der sonst als
großer Parkplatz genutzt wurde und an dessen nördlichem Ende sich eine
flügellose Windkraftanlage gen Himmel streckte, die von Anlagenmonteuren als
Übungsanlage genutzt wurde.
Es fiel den beiden Beamten schwer, den Redefluss der Frau zu bremsen
und sich höflich, aber zügig zu verabschieden.
Den Nachbarn fanden sie vor dem Haus. Er kam auf die Polizisten zu.
»Können Sie Ihr Auto nicht woanders parken?« Es klang unfreundlich.
»Herr Gönul?«, fragte Große Jäger.
In den schwarzen Augen des Mannes blitzte es kurz auf. »Warum?«
Der Oberkommissar ging nicht auf den Anwurf ein. »Sie haben vor
Kurzem mit einer blonden Frau gesprochen, die bei Herrn Hohenhausen zu Besuch
war?«
»Ich weiß nicht, wo die war, aber jeder Hansel glaubt, sein Auto vor
unserem Haus parken zu dürfen. Das habe ich ihr erklärt. Die Leute sind zu
träge, ein paar Schritte zu laufen.«
»Was für ein Auto fuhr die Frau?«
»Einen alten Fiesta«, antwortete Gönul sofort.
Es klang sicher. Der Mann hatte sich bestimmt nicht geirrt. Schade,
dachte Christoph. Wir suchen immer noch nach dem Opel.
»Können Sie die Frau beschreiben?«
»Eine Deutsche. Die hatte blonde Haare, einen großen Busen. War
nicht ganz schlank.«
»Könnten Sie uns behilflich sein, ein Phantombild zu erstellen?«
»Warum?«, fragte Gönul. »Ich habe sie schon einmal gesehen.
Irgendwo.« Er fasste sich an den Kopf. »Mir fällt nur nicht ein, wo.«
Christoph händigte dem Mann seine Visitenkarte aus. »Wenn es Ihnen
wieder einfällt, rufen Sie mich bitte an«, bat er.
Kommentarlos ließ Gönul die Karte in seiner Hosentasche
verschwinden.
Christoph und Große Jäger kehrten zur Dienststelle zurück.
»Was verbirgt sich hinter dem Mord und dem Selbstmord?«, fragte
Große Jäger, mehr zu sich selbst gewandt. »Eine blonde Frau, ein alter Opel.
Zwei alte Männer. Und ein verstorbener Arzt, dessen Grab geschändet wurde?«
»Die Ursache wird in der Vergangenheit
Weitere Kostenlose Bücher