Nebelgrab (German Edition)
sich dem Flur; den Winkel rechts konnte er nicht einsehen. Dort konnte sich jemand versteckt halten oder ins Badezimmer ausweichen. Er schlich weiter. Die Badezimmertür war angelehnt. Er lugte um die Ecke und griff gleichzeitig nach einem Bügel von der Garderobe. Mit hoch erhobenem Arm und dem Kleiderbügel in der Hand stieß er die Badezimmertür auf und rief: »Keine Bewegung – ich bin bewaffnet!«
»Himmel! Musst du mich so erschrecken? Du meine Güte, da kriegt man ja fast einen Infarkt!« Karla sah ihn einen Moment lang erschrocken, dann belustigt, schließlich höhnisch an. »Adrian, das war eine tolle Nummer; vielleicht solltest du das Fach wechseln.«
»Was schleichst du dich in meine Wohnung?«
Adrian war aufgebracht und schleuderte den Bügel in den Flur. Mit dem Fuß trat er die Wohnungstür zu.
»Du hast mir doch aufgedrückt. Wie kannst du da von Schleichen reden?«, meinte Karla beiläufig und platzierte ihren tropfenden Regenschirm in der Badewanne.
»Du hast mich zu Tode erschreckt!«
»Du mich auch«, erwiderte Karla ruhig und stellte fest: »Ist aber wirklich interessant, wie furchtsam du geworden bist. Du lässt deine Gäste sonst immer achtlos herein. Was ist heute anders?«
Sie blinzelte und suchte sich einen Platz auf der mit Decke, Büchern und Papieren belegten Couch.
»Was machst du überhaupt hier?« Adrian überging ihre Frage einfach.
»Nachsehen, warum du meine Anrufe ignorierst. Hast du nicht bemerkt, dass im beschaulichen Süchteln einiges los ist?«
»Doch, doch, aber die Berichte über die beiden Morde kannst du ja wohl selber schreiben. Ausführliches haben wir ja noch nicht.«
»So? Kriegen wir denn Ausführliches?«
Adrian zuckte zusammen und suchte mit den Augen das Manuskript. Karla durfte es auf keinen Fall entdecken.
»Was ist? Bist du nervös?«
Karla kramte in ihrer Handtasche nach ihren Rauchutensilien; mit der Schachtel und der Zigarettenspitze in der Hand wurde sie von Adrian gestoppt.
»Hier wird nicht geraucht!«
»Das Gespräch mit dir ist irgendwie langweilig, Adrian«, sagte die Redakteurin und steckte seufzend die Sachen wieder weg. »Du bist nicht auf dem neuesten Stand, mein Lieber. Das ist kein gutes Zeichen. Willst du nicht der Top-Schreiber meines Blattes sein?«
Sie legte einen Arm lässig auf die Rückenlehne des Sofas und schlug die Beine übereinander.
»Wie meinst du das?«
»Es sind bereits drei Morde geschehen. Mir scheint, meine Informanten sind zuverlässiger als deine.«
»Wie, drei Morde? Wer denn noch?«
»Ein gewisser Hubert Becker wurde gestern Abend auf der Fußgängerzone direkt neben der Kirche tot aufgefunden. Seine Frau liegt im Koma, die Wohnung wurde durchwühlt. Hubert Becker war ungefähr so alt wie deine Tante – mein Beileid übrigens – und wie der Professor, der ja merkwürdigerweise am Freitag ums Leben gekommen ist. Schade, dass du ihn nicht mehr sprechen konntest.« Sie setzte einen Blick auf, der dem eines Jagdhundes glich, der eine Fährte verfolgte. »Du hast ihn doch nicht gesprochen?«
»Nein, wie auch?«, antwortete Adrian. In seinem Kopf kreiste es.
»Schreib mir eine ordentliche Story, Adrian. Da ist was im Busch und du musst dich beeilen, sonst schnappen dir die Großen den Knüller vor der Nase weg!«
»Mach ich, ich bin dran, verlass dich auf mich.«
Er gab ihr die Hand, zog sie von der Couch hoch und geleitete sie ohne Worte in den Flur. Er holte ihren Schirm und ihren Mantel und schob sie zur Tür hinaus.
Sein Kopf war zu einem Tollhaus geworden. Und ganz hinten klopfte leise, aber beharrlich eine Erinnerung an, die den Beigeschmack von Backfisch hatte.
Als er sicher war, dass Karla die Straße verlassen hatte, zog er sich an und lief hinaus. Sein Auto parkte zwei Straßen weiter. Adrian lief durch den Regen, ungeachtet der Tatsache, dass er innerhalb von Sekunden tropfnass wurde. Hektisch suchte er an seinem Schlüsselbund den Autoschlüssel. Genauso hektisch durchsuchte er die Abfälle auf seiner Rückbank. Da war es: das zerknüllte Zeitungspapier, fettgetränkt, aber lesbar. »Düsseldorfer Antiquitätenhändler immer noch auf der Suche nach gestohlenen Insignien«. Doch das Blatt endete mit dieser Schlagzeile; der Artikel war abgerissen.
Weitere Recherche
Was tut ein Journalist, um an Informationen zu gelangen? Er recherchiert, er lässt auch mal Fünfe gerade sein, er geht über Leichen. Adrian hatte die ersten beiden Stationen dieser Aufzählung in Sachen Romanankündigung
Weitere Kostenlose Bücher