Nebelriss
nicht mehr auf unserer Seite steht, soll er spüren, was es heißt, sich gegen uns zu stellen; gegen uns, die einst die treuesten Stützen seines Vaters waren! Gegen uns, die das Reich in all den Jahren zusammengehalten haben, in denen er seine Unfähigkeit mit Wein und Weibern betäubte!« »Zügelt Eure Zunge«, riet ihm Scorutar. »Wir dürfen Arkon und Perjan nicht durch eine unbedachte Provokation in die Hände spielen.«
Binhipar schüttelte den Kopf. »Unsere Position wird von Tag zu Tag schwächer! Im Volk brodelt es; die Angst vor den Goldei wird bald zu Aufständen und Rebellionen führen. Im Silbermeer plündern troublinische Piraten frech unsere Schiffe. Und irgendwo in Arphat sitzt Baniter Geneder und lacht sich ins Fäustchen.« Er ließ die breiten Hände sinken. »Uns läuft die Zeit davon. Wir müssen Arkon und Perjan auf ihre Plätze verweisen!« »Das werden wir«, versprach Scorutar. Wütend strich er sich die dunklen Locken aus dem Gesicht. »Sie glauben sich ihrer Mehrheit im Thronrat sicher; doch sie vergessen, dass diese Mehrheit allein von der Gunst des Kaisers abhängt! Auf Akendor ist kein Verlass; das werden sie bald feststellen.«
»Leere Worte!«, donnerte Binhipar. »Akendor ist unserem Einfluss längst entglitten. Dass er uns zu dieser Stunde in den Festsaal bittet, kann nur bedeuten, dass er uns vor den Augen des Hofes demütigen möchte. Ohne seine Speichellecker vermag er mir kaum in die Augen zu sehen, doch in der Masse des Provinzadels fühlt er sich sicher!«
»Wir werden sehen«, antwortete Scorutar. »Wenn Akendor tatsächlich so naiv ist und unsere Warnungen missachtet, können wir ihn nicht mehr schützen. Doch bis dahin zähmt Euren Zorn.«
Schweigend setzten sie ihren Weg fort, vorbei an Säulen aus schwarzem Sithalit, vorbei an Tierstatuen, die auf Sockeln kauerten und Fackeln in ihren steinernen Klauen und Mäulern hielten. Schließlich erreichten sie die Tür, die zum Festsaal führte. Vier Wachen standen davor. Beim Anblick der Fürsten sprangen sie dienstbeflissen zur Seite und zogen die Flügeltüren auf. Mit versteinerten Gesichtern schritten die Fürsten auf die Türöffnung zu, aus der ihnen das satte Licht zahlreicher Öllampen entgegenschlug.
Noch bevor Scorutar in den Saal trat, regte sich ein ungutes Gefühl in ihm. Er drängte sich dichter an Binhipar, und als dieser zu ihm herabblickte, flüsterte er: »Es ist keine Musik zu hören, keine Stimmen! Akendor muss das Fest aufgelöst haben.«
Der Saal war hell erleuchtet. An der Decke waren auf Ketten mehrere Öllampen aufgereiht. Von den Emporen, die sich oberhalb des Saales an den Wänden entlangzogen, hingen farbenfrohe Schmuckfahnen herab. Trotzdem wirkte der Saal gespenstisch; die runden Fensteröffnungen an der Decke starrten wie tote Augen herab, und aus den hinteren Winkeln schlug ihnen ein kalter Windhauch entgegen, der sie frösteln ließ.
Durch den Saal zog sich eine Reihe langer Tafeln, die von einem jäh geendeten Fest kündeten - mit Essensresten gefüllte Teller und Silberplatten, ausgeweidete Schüsseln, klebrige Glaskrüge und Töpfe, angenagte Knochen und halb leere Kristallgläser, deren Ränder einen fettigen Rand zeigten - ein kulinarisches Kunstwerk, durch gierige Finger und Mäuler entweiht.
Auf einer der Tafeln, zwischen Pfannen mit geschmorten Forellen und Schüsseln mit Bratensoße, stand Akendor Thayrin, den bleichen Oberkörper entblößt, barfüßig, lediglich mit einem um die Lenden geschlungenen Tuch bekleidet. In der rechten Hand hielt er eine tönerne Weinkaraffe; sein Mund glänzte vor herabtriefendem Fett. Unweit von ihm hockte Ceyla Illiandrin. Ihre Beine hingen schlaff von der Tafel herab, das Kleid war verrutscht, eine Schulter lag frei, und ihre braunen Locken standen zerzaust vom Kopf ab. Aus ihrem Gesicht sprach nackte Furcht. Als sie die Fürsten eintreten sah, schlug sie den Blick nieder.
Neben ihr, die Hände um den Griff eines Langschwertes gelegt, stand Garalac, der Leibwächter des Kaisers. Das rote Haar glänzte kupfern im Licht der Öllampen. Seine Augen ruhten auf Akendor. Er schien die Fürsten kaum wahrzunehmen.
»Da sind sie ja endlich!«, rief Akendor mit schriller Stimme, als er Scorutar und Binhipar gewahr wurde. »Die Fürsten von Swaaing und Palidon; Scorutar Suant und Binhipar Nihirdi, die mächtigsten Fürsten des Thronrates!« Ein merkwürdiges Lachen löste sich aus seiner Kehle. Die Fürsten wechselten einen besorgten Blick. Doch Akendor
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