Nebelriss
dieses Brettspiel als albern bezeichnet«, erklang hinter ihnen die Stimme Mestor Ulbas. Der Siegelmeister stand neben dem Eingang des Tempels im Schatten des säulengetragenen Vordaches und blickte verärgert auf Sadouter herab. »Das Turmspiel von Dalal'Sarmanch ist eines der ältesten Spiele der Menschheit! Der Sage nach soll es König Apetha während der Belagerung der abtrünnigen Stadt Dalal'Sarmanch selbst erfunden haben.«
Baniter wandte den Kopf. »Welch eine Geistesgröße war doch dieser Apetha! Wer neben einer zweifachen Welteroberung noch Zeit findet, solch raffinierte Spiele auszuklügeln, verdient meinen Respekt.« In der Tat war das Turmspiel von Dalal'Sarmanch ein faszinierender Zeitvertreib. Es galt, eine Reihe von Türmen, dargestellt durch bis zu fünf aufeinander gesetzte schwarze Holzscheiben, zu Fall zu bringen; indem man seine eigenen Spielsteine zu gleicher Höhe aufstapelte, brachte man den Turm zum Einsturz. Allerdings ließen sich die Spielsteine nur in einer bestimmten Reihenfolge setzen. Die auf das Brett gemalten Symbole schrieben eine bestimmte Zugrichtung vor oder gaben an, wie sich die Steine auf dem jeweiligen Feld anzuordnen hatten. Zudem verbrauchte jeder Stein, abhängig von seiner Form und von der Höhe des ihm am nächsten liegenden Turmes, eine gewisse Anzahl an Zugpunkten. Nach jeweils dreißig Spielzügen wuchs einer der Türme um eine weitere schwarze Holzscheibe, wodurch der Spieler gezwungen war, seine Strategie neu zu überdenken.
Seit Tagen versuchte Baniter, die Türme von Dalal'Sarmanch zum Einsturz zu bringen. Doch bisher hatte er nicht mehr als zwei Türme bezwingen können. Mestor Ulbas tröstende Worte, dass es selbst den größten Weisen nicht gelungen sei, alle sechs Türme zu Fall zu bringen, hatten seinen Ehrgeiz nur zusätzlich angestachelt.
Dieses Spiel scheint so einfach zu sein; die Regeln hat man nach wenigen Minuten begriffen, doch seine Lösung rückt in immer weitere Ferne, je länger man über dem Brett sitzt.
Er blickte zu Sadouter herüber. »Vielleicht solltet auch Ihr Euch an diesem Spiel versuchen, junger Suant. Es könnte Euch helfen, eine Tugend zu erlernen, die hier in Praa gute Dienste leistet: Geduld!« Lächelnd schob er dem jungen Adeligen das Spielbrett zu. Sadouter hob abwehrend die Hand. »Meine Geduld ist in der Tat erschöpft. Wir werden in diesem Tempel festgehalten! Es ist uns sogar verboten, uns in der Stadt umzusehen. Als ich zum Nesfer heruntergehen wollte, zwangen mich die Bena-Sajif zur Umkehr!«
Tathril sei Dank! Wer weiß, welches Unheil du angerichtet hättest.
Baniter war sich ihrer misslichen Lage durchaus bewusst. Die Mönche des Bena-Sajif-Ordens ließen sie für keinen Moment aus den Augen, und auch die großzügige Versorgung mit erlesenen arphatischen Köstlichkeiten konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass man sie mehr als Gefangene denn als Gesandte betrachtete. Auch Baniter bereitete es zunehmend Sorgen, dass die Königin sich weigerte, ihn zu empfangen. Das Märchen von der nicht enden wollenden Gazellenjagd hatte er keinen Augenblick lang für bare Münze genommen.
Sie spielt ein gefährliches Spiel, wenn sie uns weiter zappeln lässt. Mit jeder Stunde, die verstreicht, wird der Sieg der Goldei wahrscheinlicher.
»Ich bin überzeugt, dass die Königin uns bald empfangen wird«, sagte Mestor Ulba. »Bisher wurden Gesandte aus Sithar stets mit großer Unfreundlichkeit behandelt. Uns aber scheint man wohler gesonnen, sonst hätte man uns kaum gebeten, dem heutigen Har'buthi-Fest beizuwohnen. Das ist bemerkenswert, Fürst Baniter! Fremde werden an diesem hohen Festtag üblicherweise der Stadt verwiesen. Mit der Har'buthi-Zeremonie wird der arphatische Winter eingeläutet, die dritte Jahreszeit. Den Göttern des Flusses werden Opfer dargebracht, damit der Nesfer im Frühjahr wieder reichlich Wasser mit sich führt und die Erde fruchtbar hält. Die gesamte hohe Priesterschaft von Praa wird anwesend sein! Es ist eine Ehre, dass man dieses großartige Fest in unserem Beisein begehen will.«
»So großartig kann es nicht sein, wenn die Königin ihm fern bleibt und stattdessen Gazellen jagt«, höhnte Baniter.
»Das ist in der Tat merkwürdig«, gab Ulba zu. »Ihre Abwesenheit könnte von den Göttern als Beleidigung empfunden werden. Umso erstaunlicher ist es, dass man uns die Gnade gewährt, der Zeremonie beizuwohnen.« »Ich kann auf diesen Götzendienst verzichten«, zischte Sadouter Suant. »Geht hin, wenn Ihr
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