Nebelschleier
neis Gfängnis komme is!«, ereiferte sie sich. »Wie spät isn des?«, wollte die Mutter plötzlich wissen. »Was? Scho kurz nach zwölf! Ach Gott, ach Gott, ich hab ja noch gar nix zu Mittag vorbereitet!«
»Das ist doch nicht so schlimm!«, beruhigte sie ihr Sohn. »Wir haben ja ausgiebig gefrühstückt, da langt auch ein Stück Kuchen und ein Kaffee.«
»Oder soll ich e paar Detsch machen? Des geht schnell.«
»Ach, Detsch!? Da hätt ich nix dagegen!«
Kindheitstraum, Wohlfühlessen, Köstlichkeit!
»Na gut, dann mach ma Detsch. Ich hab grad vor e paar Wochn frische Hölberla eigmacht!«
Die Aussicht auf diesen lange vermissten Genuss, Kartoffelpuffer mit Preiselbeeren, ließ Angermüller fast das unangenehme Gefühl vergessen, das ihn beschlichen hatte, als er hörte, dass der gewaltsam zu Tode Gekommene der alte Steinlein war.
2
Rosi, in Jeans und T-Shirt gekleidet, wie meist bei der Arbeit, hockte vor einem Beet und erntete eine bunte Mischung Küchenkräuter. Es war gleich Mittagszeit, und die Sonne brannte heiß, viel zu heiß für den Oktober. Sie strich eine Strähne aus dem Gesicht, die sich aus dem dicken Knoten gelöst hatte, zu dem sie das braune Haar praktischerweise aufgebunden hatte. Heute Abend musste der Garten auf jeden Fall noch einmal richtig gewässert werden.
Der Gemüsegarten und vor allem seine Produkte waren Rosis ganzer Stolz. Sie zog Pastinaken, Mangold, Bohnen, Salat und noch einiges andere mehr – fast alles, was sie zum Leben auf dem Hof brauchten. Es gab einen Kräutergarten und in einem Gewächshaus gediehen auch Tomaten und Auberginen. Jetzt war die Zeit der Kürbisse und die Hokkaidos prangten draußen in den Beeten in sattem Orange. Was sie nicht für den Eigenbedarf benötigten, verkaufte Rosi in ihrem Laden.
Die Besucherglocke schlug laut und vernehmlich an. Eigentlich war der Hofladen um diese Zeit geschlossen, doch die Städter, die bei ihr einkauften, gewöhnt an durchgehend geöffnete Läden, stets zeitlich unter Druck und mit dem Bewusstsein ausgestattet, als Kunde König zu sein, kannten da kein Pardon und klingelten einfach an der Haustür. Sie wechselte von den Gummistiefeln in ihre bequemen offenen Latschen und eilte zu sehen, welchen unaufschiebbaren Kundenwunsch sie diesmal erfüllen sollte.
Dass der Dicke in dem viel zu engen Anzug und die sportlich gekleidete jüngere Frau neben ihm, nicht zu ihrer üblichen Klientel gehörten, sah Rosi ihnen sofort an.
»Grüß Gott! Kann ich Ihnen helfen?«
»Guten Tag! Wir würden gern die Frau Sturm sprechen.«
Die Frau sprach, der Mann machte ein ernstes Gesicht, atmete schwer und beobachtete Rosi mit Augen, die tief zwischen seinen feisten Wangen lagen.
»Das bin ich. Worum geht’s denn?«
»Frau Sturm, wir sind von der Kripo Coburg.«
Sie zeigten ihre Dienstausweise und stellten sich vor.
»Wir haben eine traurige Nachricht.«
Rosi merkte, wie alles Blut in ihre Mitte strömte.
»Ist was passiert?«, fragte sie mit rauer Stimme.
»Dürfen wir reinkommen?«
Rosi spürte eine unerträgliche Anspannung und ließ die Beamten wortlos eintreten. Schnell ging sie durch den Flur in die geräumige Küche voraus, wo ein junges Mädchen am Herd stand, das mit großen Töpfen hantierte, und ein junger Mann dabei war, mit einer Vielzahl Teller gerade den Tisch zu decken. Sie schickte die beiden jungen Leute hinaus.
»Also, sagen Sie schon! Was ist passiert?«
»Frau Sturm, wie gesagt, eine traurige Nachricht: Ihr Vater – er hatte einen schweren Unfall – es tut mir leid«, sagte der Mann, der sich als Kriminalhauptkommissar Bohnsack vorgestellt hatte.
»Er hatte einen Unfall? Was ist denn passiert?«
»Ihr Herr Vater ist heute Morgen mit seinem Rollstuhl an der Felsengrotte im Schlosspark abgestürzt.«
»Oh Gott! Wie geht es ihm? Ist er im Krankenhaus? Weshalb kommen Sie von der Kripo hierher?«
Bohnsack räusperte sich.
»Wie gesagt, es tut mir leid. Er ist tot, und es gibt deutliche Hinweise, dass es kein Unfall gewesen ist.«
»Oh nein«, Rosi machte einen Schritt zum Tisch und sackte auf einen der Stühle. Unter ihrer Sonnenbräune war sie blass geworden und Tränen traten ihr in die Augen.
»Können wir etwas für Sie tun, Frau Sturm?«, fragte mitfühlend die Beamtin und fasste Rosi sanft an der Schulter. Rosi schüttelte hilflos den Kopf.
»Ich weiß nicht, ich glaube nicht. Ich bin ganz durcheinander. Mein Mann kommt bestimmt gleich. Und die anderen kommen auch alle zum
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