Nebelschleier
jeden Mist eingemischt«, stellte sie nur fest. Es folgte ein routinemäßig knappes »Wie geht’s dir sonst?«, und, ohne die Antwort abzuwarten, erkundigte sie sich gleich nach Astrid und den Kindern und fragte, wo sie dieses Jahr Urlaub gemacht hatten. Als Georg ihr Auskunft geben wollte, unterbrach sie ihn bald und begann von ihren traumhaften Ferien auf Mallorca zu erzählen, von den Tennisturnieren, die sie in dieser Saison für ihren Verein bestritten hatte, und von den besten Kreisen Coburgs, in denen sie und auch ihre Kinder sich schon bewegten. Angermüller fühlte sich stark an seine Lübecker Schwägerinnen erinnert, die, wie auch seine Schwiegermutter, einem strengen Kastendenken verhaftet waren. Wenn er auch einmal zwischendurch zu Wort kam, nickte seine Schwester nur unkonzentriert und hörte kaum zu.
»Hast schon wieder ein bissle was zugenommen, gell, Schorsch«, stellte sie dann irgendwann noch mit kritischem Unterton fest und wandte sich jemand anderem zu.
Lisbeths Mann Manfred kannte Angermüller eigentlich kaum, so selten wie sie sich einmal bei einer Familienfeier trafen. Dann redeten sie meist über Autos und Fußball, obwohl Angermüller beides nicht brennend interessierte. Aber wenn es um seinen Job als Kriminalkommissar ging und Manfred darüber auf die Politik kam oder aber begann, über die Wirtschaft zu dozieren, waren die Gräben, die sie trennten, unüberwindlich, und Manfred neigte dazu, sich über die Maßen zu echauffieren, sodass Angermüller diesen Themen lieber aus dem Weg ging.
Friedrich und Sophia – sein Neffe, der im nächsten Jahr Abitur machen würde, und seine 13-jährige Nichte – hingen mit mürrischen Gesichtern in einer Ecke des Sofas. Sie waren ausgesprochen schick gekleidet und langweilten sich offensichtlich maßlos in der Gesellschaft der meist älteren Leute. Sie taten Angermüller leid, und er fragte sie, ob sie nicht Lust hätten, ihn ein bisschen beim Abräumen und Nachschenken zu unterstützen. Doch sie sahen ihn so pikiert an, als ob er sie aufgefordert hätte, nackt auf dem Tisch zu tanzen, und schüttelten nur stumm ihre Köpfe. Dann mussten sie eben weiterleiden.
Die Jubilarin saß in ihrem großen Sessel und nahm die Huldigungen entgegen. Nach einem Gläschen Sekt wirkte sie fröhlich und entspannt und schien die Feier auch zu genießen. Es war eine der wenigen Situationen, in der Angermüller zu spüren meinte, dass seine Anwesenheit und die seiner Schwestern die Mutter auf ihre Art glücklich machte.
Natürlich standen die dramatischen Ereignisse in Niederengbach im Mittelpunkt des Interesses. Nicht zuletzt war es Georgs immer noch gut sichtbares blaues Auge und wie es zustande gekommen war, das die Leute ihn immer wieder fragen ließ, wie er denn den Fall sehe und ob er nicht eine Idee habe, wer es gewesen sein könnte. Jedes Mal bedauerte er außerordentlich, hier nur ein Kriminalhauptkommissar auf Urlaub zu sein, dem die Hände gebunden waren und der nicht mehr als alle anderen über den schrecklichen Mord in der Felsengrotte wusste.
»Aber du bist doch mit dene Steinleins Töchter befreundet. Stimmt denn des, dass dem Bernhard sei Schwiegersohn was damit zu tun hat?«, fragte einer der Nachbarn trotzdem noch einmal nach.
»Der Johannes hat ganz bestimmt nichts damit zu tun! Wer sagt das denn?«
»Sagen halt welche. Wegen dera Gentechnik. Weil doch der Johannes da so dagegen is und der Steinleins Bernhard ja seine Felder an die verkaufen wollt!«
»Das sind doch alles nur Gerüchte. Außerdem ist Johannes ja nicht der Einzige, der gegen die Genfelder protestiert.«
»Un der Brand im Motschmann seiner Scheune? Was isn da damit? Des warn doch ach diese jungen Burschen!«
»Die Polizei hat eindeutig festgestellt, dass der Motschmann seine Scheune selbst in Brand gesteckt hat. Und weil er sich dabei auch noch ziemlich dumm angestellt hat, liegt er jetzt im Krankenhaus.«
»Hab ich mir doch gleich gedacht!«, sagte ein anderer. »Der Motschmanns Erwin wollt des Geld von der Versicherung für sei alts Gehötsch kassiern!«
»Und den Verdacht auf die Gentechnikgegner lenken«, nickte Angermüller. »Gut ausgedacht, aber leider schiefgegangen.«
»Ja, ja, die Gentechnik wird immer und überall verteufelt. Im internationalen Vergleich wird Deutschland immer weiter zurückfallen, weil wir wegen jedem Umweltfreund auf jeglichen technischen Fortschritt verzichten«, meldete sich Angermüllers Schwager zu Wort. »Heute wird eine Straße nicht
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