Nebelschleier
hat ihn mir als nicht sehr seriös geschildert. Jedenfalls ist er hier in Niederengbach wie ein Phantom. Niemand scheint ihn gesehen zu haben.«
»Vielleicht ist er immer nur im Schutz der Dunkelheit hier aufgetaucht. Würde ja passen, wenn er eine so zwielichtige Gestalt ist, wie Paola gesagt hat«, lachte Johannes.
»Stimmt! Als er neulich der Marga mal oben im Park über den Weg gelaufen ist, da war’s auch schon dunkel, hat sie gesagt. Er hat sich da mit deinem Schwiegervater getroffen.«
»Da schau an! Deine Schwester passt auf. Jetzt aber rein ins Warme. Los!«
Langsam leerte sich das Angermüllersche Wohnzimmer und für Georg und Marga blieb nicht mehr viel zu tun. Endlich wollte Angermüller etwas von den heimatlichen Spezialitäten oder dem, was davon noch übrig war, zu sich nehmen. Nachdem er bis jetzt tapfer ohne Frühstück den Gastgeber gespielt hatte, spürte er ein ziemliches Loch im Magen. Er nahm sich von der Rinderzunge, gab ordentlich Apfelsahnemeerrettich darauf, schnitt sich eine Scheibe Bauernbrot dazu ab und verzog sich ans Ende des Tisches, wo er in Ruhe sein Mahl genießen konnte.
»Nu lass es dir emal schmecken, Georg! Du hast so fleißig geerwed die ganze Zeit. Des haste dir verdient!«
Seine Mutter streichelte ihm mit ihrer rauen Hand die Wange. Es war das größte Zeichen von Zuneigung und Dankbarkeit, das er seit Langem von ihr erhalten hatte, und er freute sich darüber. Dann stand er auf, holte sich noch eine Portion vom Kartoffelsalat mit Speck, dazu eine Scheibe kalten Schweinebraten in Senfkruste und noch ein paar eingelegte Bohnen und Gürkchen. Alles mundete köstlich, wie bei seiner Mutter nicht anders zu erwarten und wie er es von den Familienfeiern seiner Kindheit gewöhnt war. Als er sich zum Abschluss noch einen Ausgezogenen und eine Tasse Kaffee gönnte, erntete er von Lisbeth einen missbilligenden Blick, was ihn nicht die Bohne interessierte. Er hielt seine Schwester ohnehin für eine unzufriedene, neidische Person, die einem nur leidtun konnte, da sie unfähig zum Genießen war und trotz all ihrer Wohlstandsinsignien im Grunde ziemlich unglücklich. Er jedenfalls fühlte sich hochzufrieden, als er das süße Hefegebäck vertilgt und einen heißen, starken Kaffee getrunken hatte.
Seine Mutter hatte sich wieder in ihren Sessel gesetzt. Sie unterhielt sich mit Rosi. Bis auf die Familie, Rosi, Johannes und zwei Frauen aus der Nachbarschaft waren alle Gäste gegangen. Das Geburtstagskind wirkte ein wenig erschöpft.
»Na, Mamma, willst dich gleich ein bisschen hinlegen?«, fragte Angermüller nicht ganz uneigennützig. Es wäre eine gute Gelegenheit gewesen, unbemerkt nach Coburg und zu Ottmar Fink verschwinden zu können.
»Nu vertreib doch net unsere Gäste, Georg!«
»Wir sind sowieso schon viel länger geblieben, als wir wollten, Frau Angermüller. Aber es war wirklich nett bei Ihnen. Und die guten Sachen, mit denen Sie uns bewirtet haben. Vielen Dank!«, beruhigte sie Rosi und stand auf. Johannes, den Angermüllers Schwager erneut in eine Diskussion verwickelt hatte, erhob sich ebenfalls. Wahrscheinlich war er froh, Manfred endlich entkommen zu können.
»Meinste denn, da hab ich die Zeit dazu? Mich hinzulegen?«, wandte die Mutter sich zweifelnd an Georg.
»Aber natürlich, Mamma! Die Marga und ich, wir räumen hier auf, und bis die Leut zum Kaffeetrinken in den Gasthof kommen, sind’s noch fast zwei Stunden. Das tut dir bestimmt gut.«
Die Mutter nickte und war offensichtlich doch dankbar, sich ein wenig ausruhen zu können, bevor die Feier weiterging. Die Sturms verabschiedeten sich und Angermüller ging mit den Freunden nach draußen.
»Ich weiß gar nicht, ob wir uns vor meiner Abfahrt morgen noch mal sehen werden. Die Geburtstagsfeierlichkeiten werden sich ja heute bis in die Nacht hinziehen.«
»Wann geht denn dein Zug morgen?«, fragte Johannes.
»So gegen halb eins erst. Aber ich wollt ein bissle eher in die Stadt und noch ein paar Sachen besorgen.«
»Und eine Bratwurscht essen, wie ich dich kenn.«
»Du bist bald nicht mehr mein Freund!«, drohte Angermüller.
»Komm her Schorsch, lass dich umarmen! Wann kommst denn mal wieder?«
»Ich fürchte, das wird eine Weile dauern. Aber ihr könnt ja auch mal ein bisschen Ostseeluft schnuppern. Ihr habt mich noch nie in Lübeck besucht, obwohl ich euch schon so oft eingeladen habe!«
Georg und Johannes umarmten sich.
»Ich weiß halt nicht, ob ich mich zu den Nordlichtern da droben trauen
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