Nebelschleier
nach. Auch wenn ihre Sprüche gegenüber Bea und Johannes ihrem Alkoholpegel geschuldet waren, ein Stück Wahrheit steckte dahinter. Manchmal war es auch die reine Wahrheit, die man im nüchternen Zustand nicht auszusprechen wagte. Das Verhältnis der drei war offensichtlich alles andere als harmonisch. Nur Rosi schien mit beiden Schwestern einigermaßen auszukommen. Eine Erklärung war natürlich, dass Paola die Einzige war, die beim alten Steinlein geblieben war. So war sie automatisch zur Verbündeten ihres Vaters geworden, und sowohl für Bea als auch für Johannes, die mit dem Alten endgültig gebrochen hatten, stand sie damit auf der falschen Seite.
Ein Blick zur Uhr sagte Angermüller, dass es schon halb zwei war, und er nahm sich vor, nicht mehr lange auf dem Sturms-Hof zu bleiben, damit er wenigstens einigermaßen frisch für die bevorstehenden Geburtstagsfeierlichkeiten wäre. Es kamen ihm ab und zu Autos und Leute entgegen, das Fest schien sich ohnehin seinem Ende zu nähern. Trotzdem war es ihm wichtig, sich noch einmal bei Rosi und Johannes zu zeigen, damit keine falschen Schlüsse gezogen würden.
11
Am Sonntag war es das erste Mal nach der langen Reihe goldener Oktobertage, dass sich der Hochnebel über Niederengbach nicht lichten wollte. Die Welt draußen war grau und kalt. Im kleinen Wohnzimmer von Georg Angermüllers Mutter war jede Sitzgelegenheit belegt, einige Leute standen, man tat sich an dem üppigen Buffet gütlich, schwatzte dabei, lachte, Besteck klapperte auf Geschirr und der Geräuschpegel in dem nicht sehr großen Zimmer war ziemlich hoch. Zigarrenrauch mischte sich mit Essensgerüchen und Parfumdunst und die Luft war zum Schneiden. Die Frauen trugen Kostüm oder festliches Kleid, die meisten Männer Anzug, und ihren geröteten Gesichtern nach zu urteilen, war ihnen ziemlich warm. Doch sie behielten ihre Jacketts tapfer an.
Angermüller hatte das seine längst abgelegt und ging in weißem Hemd und schwarzer Cordhose seinen Pflichten nach. Zusammen mit Marga kümmerte er sich ums Buffet, füllte Gläser, trug schmutziges Geschirr weg, suchte passende Vasen und wusch in der Küche ab. Seine Mutter hatte ihn schon in aller Frühe aus dem Bett geholt, um mitzuhelfen, damit alles gerichtet sein würde, wenn die Gäste kämen. Im Hinblick auf das reichhaltige Buffet hatten sie nicht gefrühstückt, sondern nur eine Tasse Kaffee getrunken. Als er ihr danach gratuliert, den Rosenstrauß und die Geschenke überreicht hatte – einen Morgenmantel und ein Eau de Toilette, beides von Astrid besorgt –, hatte sie einen prüfenden Blick auf seine Garderobe geworfen und an seinen widerspenstigen, braunen Locken herumgezupft, die ihr nie ordentlich genug frisiert waren.
»Dass du ausgerechnet an meim Geburtstag mit so eim Auge rumlaufen musst …«, hatte sie dann noch bedauernd gesagt, wobei es nicht ihr Sohn war, der ihr leidtat. Erst danach hatte sie sich für die Geschenke bedankt.
Wenn die Mutter sonst auch den Anschein erweckte, als sei sie durch nichts aus der Ruhe zu bringen, diese Geburtstagsfeier schien doch ein Ereignis zu sein, das sogar bei ihr eine gewisse Nervosität hervorrief und deutlich machte, dass der Schlaganfall vor einigen Monaten seine Spuren hinterlassen hatte. Sie war viel weniger belastbar als früher und auch ihr Gedächtnis hatte gelitten. Immer wieder stellte sie die gleichen Fragen nach dem Stand der Vorbereitungen, mehrfach ließ sie sich versichern, dass Frisur und Kleid richtig saßen, und darüber, dass Mannsbilder in der Küche eigentlich nichts zu suchen hatten, verlor sie heute kein Wort. Im Gegenteil, sie schien dankbar, dass Marga und Georg sich die Arbeit teilten, denn wie zu erwarten, kam Lisbeth mit ihrer Familie nicht so früh wie versprochen. Außerdem weigerte sich Angermüllers zweite Schwester sowieso, in der ihrer Ansicht nach vorsintflutlichen Küche in Niederengbach auch nur einen Finger krumm zu machen.
»Soll die Mamma sich doch eine Spülmaschine kaufen! Ich sag ihr das schon seit Jahren. Wir hätten ihr sogar eine zum Geburtstag geschenkt, aber sie will ja keine. Dafür mach ich mir im Spülwasser doch nicht meine Hände kaputt!«
Die Begrüßung zwischen Georg und ihr, die sich über zwei Jahre nicht gesehen hatten, fiel eher kühl aus.
»Was hast du da denn wieder gemacht?«, fragte sie verständnislos, zeigte auf das blaue Auge ihres Bruders und winkte ab, kaum dass er zu einer Erklärung ansetzte.
»Du hast dich ja schon immer in
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