Nebelsturm
Algots alte Holzaxt. Klein war sie, aber stabil. In der Ecke lehnte die lange, schmale Sense. Er nahm Axt und Sense und verließ das Bootshaus.
Das Hängeschloss war heruntergefallen, Henrik konnte es nirgends sehen. Daher konnte er die Tür nur hinter sich zuziehen. Er stapfte durch den liegen gebliebenen Schnee, ließ die Wege und die Bootshäuser hinter sich und ging über die Strandwiesen hinunter zum Wasser.
Er setzte seinen Weg die Küste entlang nach Norden fort, den Kopf gesenkt, stemmte er sich gegen den immer stärker werdenden Wind. Seine Wollmütze und die gefütterte Jacke schützten ihn zwar vor den Böen, aber seine Nase und die Augen brannten.
Doch Henrik ließ sich von der Kälte nicht aufhalten, unbeirrt lief er weiter.
Die Brüder Serelius, oder wie sie auch immer hießen, hatten ihn niedergestochen und sein Boot gestohlen. Ihr nächstes Ziel war Åludden.
Dort wollte Henrik ihnen wieder begegnen.
28
T ilda drückte auf die Klingel an der Wohnungstür von Henrik Jansson in Borgholm – ein lang gezogener Ton war zu hören. Neben ihr stand Mats Torstensson, ein Kollege aus der Stadt.
Es war der Tag vor Weihnachten, und es hätte alles schon viel früher geklärt werden können, wenn Henrik Jansson sich auf dem Polizeirevier gemeldet hätte. Wiederholt war er zu einer Vernehmung geladen worden, um zu der Einbruchsserie auf Nordöland befragt zu werden. Wenn er nicht freiwillig kam, musste er eben geholt werden.
Es blieb still. Tilda klingelte erneut, aber niemand öffnete, und sie hörte auch keine Geräusche, als sie das Ohr an die Tür hielt. Sie drückte den Türgriff herunter – es war abgeschlossen.
»Verreist«, schlug Torstensson vor. »Zu Mama und Papa, um Weihnachten zu feiern.«
»Laut Aussage seines Vorgesetzten sollte er heute arbeiten«, sagte Tilda. »Zwar nur halbtags, aber …«
Ein letztes Mal drückte sie auf die Klingel. Gleichzeitig schlug die Eingangstür unten zu, und man hörte das Stampfen von Winterstiefeln im Treppenhaus. Gespannt fixierten Tilda und Torstensson den Treppenabsatz, aber um die Ecke bog nur eine junge Frau mit einem Karton voller Weihnachtsgeschenke in den Armen. Ihr roter Wollschal verdeckte das halbe Gesicht. Misstrauisch warf sie den Polizisten einen Blick zu. Als sie im Begriff war, ihre Wohnungstür aufzuschließen, trat Tilda auf sie zu.
»Entschuldigen Sie bitte, wir sind auf der Suche nach Ihrem Nachbarn, Henrik Jansson. Wissen Sie, wo er sich aufhält?«
Die junge Frau starrte auf Henriks Türschild.
»Bei der Arbeit?«
»Das haben wir schon überprüft.«
Sie dachte nach.
»Vielleicht ist er bei seinem Bootshaus.«
»Wissen Sie, wo das ist?«
»An der Ostküste … irgendwo da. Er wollte mich diesen Sommer mal zum Baden mitnehmen, aber ich habe abgelehnt.«
»Sehr gut, vielen Dank«, verabschiedete sich Tilda. »Und fröhliche Weihnachten.«
»Das war es dann wohl.« Torstensson zuckte mit den Schultern. »Dann müssen wir ihn uns nach den Feiertagen vorknöpfen.«
»Wenn er uns nicht auf der Rückfahrt über den Weg läuft«, entgegnete Tilda.
Es war halb drei. Draußen war es grau und kalt, minus zehn Grad, und es dämmerte bereits.
»Ich mache in einer Viertelstunde Schluss«, warf Torstensson ein, während er die Wagentür öffnete. »Ich muss unbedingt in die Stadt, mir fehlen noch Geschenke.«
Er sah auf die Uhr. In Gedanken lag er bestimmt schon mit einer Flasche Weihnachtsbier vor dem Fernseher.
»Ich muss nur kurz noch eine Sache klären«, sagte Tilda.
Ihre fünf freien Tage Weihnachtsferien näherten sich unaufhaltsam, aber sie wollte die Fährte von Henrik Jansson noch nicht aufgeben.
Zum zweiten Mal an diesem Tag rief sie Janssons Chef an. Sie erfuhr, dass das Bootshaus in Enslunda stand.
Das lag südlich von Marnäs, ganz in der Nähe von Åludden.
»Ich fahre Sie erst einmal zurück zum Revier«, beschloss sie. »Dann kann ich auf dem Weg nach Hause ja noch einen kurzen Abstecher nach Enslunda machen. Er wird bestimmt nicht dort sein, aber ich kann mir das ja mal anschauen.«
»Ich begleite Sie gerne, wenn Sie wollen.«
Torstensson war ein angenehmer Kollege, und sein Angebot war ganz sicher aufrichtig, trotz Weihnachtsstress. Sie schüttelte dankend den Kopf.
»Vielen Dank, aber ich mache das auf dem Nachhauseweg«, beruhigte sie ihn. »Sollte Jansson tatsächlich im Bootshaus sein, nehme ich ihn mit und verderbe ihm seine Weihnachtsfeiertage. Wenn nicht, dann fahre ich nach Hause und packe
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