Nebelsturm
Geschenke ein.«
»Fahren Sie bloß vorsichtig«, sagte Torstensson besorgt. »Es soll einen Schneesturm geben, haben Sie das schon gehört?«
»Ja, doch, aber ich habe Winterreifen!«
Sie fuhren zurück zum Revier. Nachdem Torstensson im Gebäude verschwunden war, wendete Tilda den Wagen und wollte gerade den Parkplatz verlassen, als die Tür der Polizeiwache aufgerissen wurde.
Mats Torstensson winkte ihr zu. Tilda kurbelte die Scheibe herunter und streckte den Kopf aus dem Fenster.
»Was gibt es?«
»Sie haben Besuch.«
»Von wem?«
»Von Ihrem Ausbilder.«
»Ausbilder?«
Tilda hatte keine Ahnung, wen er meinte. Also parkte sie und folgte ihm aufs Revier. Der Empfang war unbesetzt. In den Fenstern standen Adventskerzen, aber die meisten Beamten waren schon in die Ferien gefahren.
»Ich habe sie gerade noch erwischt«, sagte Torstensson zu einem breitschultrigen Mann, der auf einem Sofa im Warteraum saß. Der Mann trug eine Jacke und darunter einen hellgrauen Polizeipullover und lächelte Tilda strahlend an, als sie den Raum betrat.
»Ich war gerade in der Nähe«, sagte Martin und stand auf. In den Händen hielt er ein großes, in rotes Papier gewickeltes Geschenk. »Ich wollte dir nur fröhliche Weihnachten wünschen.«
Tilda versuchte die Fassung zu wahren und lächelte.
»Hallo, Martin … dir auch fröhliche Weihnachten.«
Ihr Lächeln erstarb gleich darauf wieder, seines wurde dagegen immer breiter.
»Wollen wir einen Kaffee trinken?«
»Sonst gerne«, sagte sie, »aber ich bin leider ziemlich in Eile.«
Sie nahm das Geschenk entgegen – es fühlte sich an wie eine Pralinenbox–, nickte Mats Torstensson zu und verließ das Revier.
Martin folgte ihr. Sie drehte sich zu ihm um, jetzt musste sie auch nicht mehr erfreut tun.
»Was soll das?«
»Wie meinst du das?«
»Du rufst mich ständig an, und jetzt kommst du auch noch und bringst Geschenke. Warum?«
»Na, ich … ich wollte nur mal sehen, wie es dir geht!«
»Mir geht es gut«, sagte Tilda mit fester Stimme. »So, und jetzt kannst du wieder nach Hause fahren zu Frau und Kind. Schließlich ist bald Weihnachten.«
Er lächelte.
»Ich habe alles geregelt«, sagte er stolz. »Ich habe Karin gesagt, dass ich in Kalmar übernachte und erst morgen früh zu Hause bin.«
Für Martin schien das alles nicht mehr als ein praktisches Problem zu sein – die Notwendigkeit, Ordnung in seinen Lügen zu haben.
»Bitte schön, dann fahr auch nach Kalmar.«
»Warum das denn? Ich kann doch genauso gut hier auf Öland übernachten.«
Sie seufzte, ging zu ihrem Wagen, öffnete die Tür und warf Martins Geschenk auf den Rücksitz.
»Ich habe jetzt keine Zeit, mich zu unterhalten. Ich muss einen Typen abholen.«
Sie saß im Wagen und hatte die Tür zugeworfen, noch ehe er darauf reagieren konnte. Verwirrt verließ sie den Parkplatz, bemerkte aber kurz darauf, dass ihr ein blauer Mazda folgte.
Es war Martins Wagen.
Auf dem Wegnach Norden fragte sie sich, warum sie nicht energischer versucht hatte, ihn zu vertreiben. Sie hätte schreien und spucken können – diese Signale hätte er vielleicht verstanden.
Tilda erreichte die Ostküste der Insel gegen halb vier. Das letzte Tageslicht war verschwunden, der Himmel hing grauschwarz über ihr, und der zuvor sanfte Schneefall war viel dichter geworden, erschien ihr beinahe aggressiv. Die Flocken tanzten nicht mehr ziellos durch die Luft, sondern hatten sich formiert und waren zum Angriff übergegangen. Sie prallten gegen ihre Windschutzscheibe und saugten sich an den Fenstern fest.
Sie bog in den schmalen Weg hinunter nach Enslunda. Martins Mazda fuhr dicht hinter ihrem Wagen her.
Im Licht der Scheinwerfer erkannte Tilda mehrere Reifenspuren im Schnee, und als der Weg etwa fünfzig Meter vom Strand entfernt endete, erwartete Tilda, dort mindestens einen PKW zu sehen.
Aber der Wendeplatz war leer.
Nur viele frische Spuren im Schnee waren zu entdecken – Abdrücke schwerer Stiefel, die zwischen den Wagenspuren und einem der Bootshäuser hin und her verliefen. Der unaufhaltsam fallende Schnee hatte bereits begonnen, sie zu verdecken.
Der Mazda hielt hinter ihr.
Tilda zog sich die Polizeimütze auf, sie musste die Fahrertür aufdrücken, um aussteigen zu können.
Der Wind an der Küste war beißend und eiskalt. Frost und Menschenleere verliehen diesem Ort etwas Feindliches. Die Wellen rollten mit großer Kraft auf den Strand und zerbrachen die dünne Eisdecke, die sich dort gebildet
Weitere Kostenlose Bücher