Nebelsturm
endlich in den Schlaf.
Ein paar Stunden später erwachte er von einem klopfenden Geräusch.
Wie ein Klopfen gegen Glas. Dann herrschte wieder Stille.
Er hob den Kopf und sah sich verwirrt im Zimmer um.
Erneut erklang das leise Klopfen. Es schien aus dem Vorraum zu kommen.
Henrik verließ sein warmes Bett und stolperte durch die Dunkelheit, um besser hören zu können.
Das Klopfen kam aus dem Rucksack. Dreimal, dann Stille. Dann erneutes Klopfen.
Er beugte sich herunter und öffnete den Reißverschluss. Dort lag nur die alte, in Tischtuch gewickelte Lampe aus dem Pfarrhaus.
Henrik hob sie hoch.
Die Holzfassung der Lampe musste auf der Fahrt kalt geworden sein, überlegte er. Und jetzt wurde sie von der Zimmertemperatur erwärmt, und deshalb klopfte und knackte es.
Er stellte die Lampe auf den Küchentisch, schloss die Tür hinter sich und ging zurück ins Bett.
Ab und zu vernahm er noch gedämpfte Klopfgeräusche aus der Küche. Das störte wie ein tropfender Wasserhahn, aber Henrik war so erschöpft, dass er sofort wieder einschlief.
13
D as Wichtigste war, Katrine niemals zu vergessen.
Jedes Mal, wenn Joakim sich dabei ertappte, nicht an sie gedacht zu haben, und sei es nur für einen kurzen Moment, überfiel ihn der Schmerz, dass es sie nicht mehr gab, umso unerbittlicher. Darum versuchte er, sie andauernd in seinen Gedanken zu bewahren – in seinen Gefühlen vor jener Grenze, wo die Trauer noch nicht übermächtig war und Katrine immer zugegen sein konnte.
An einem Sonntag, drei Wochen nach der Tragödie, unternahm er mit den Kindern einen Ausflug in die benachbarte Umgebung. Zuerst gingen sie ins Landesinnere. Joakim stellte sich vor, dass Katrine im Haus geblieben sei, um noch ein paar Tapetenbahnen anzukleben. Sie würde etwas später nachkommen und sie bald eingeholt haben.
Es war ein windiger, aber sonniger Novembertag, und sie hatten sich belegte Brote und heiße Schokolade eingepackt. Joakims Rucksack verfügte über einen integrierten Tragesitz, in dem Gabriel sich ausruhen konnte, wenn er müde wurde. Er rannte und hüpfte aber mit Livia über die Wiesen.
Als sie fast die Landstraße erreicht hatten, rief Joakim ihnen hinterher, dass sie auf ihn warten sollten, und dann überquerten sie gemeinsam die Straße, indem sie nach links und nach rechts sahen, so wie sie es gelernt hatten.
Livia hatte die vergangenen Nächte besser geschlafen und wirkte alles andere als müde. Joakim jedoch spürte den dauerndenSchlafmangel wie eine drückende Schwere im Kopf. Tagsüber ging es ihm zwar besser, seit das »Knochenfieber« abgeklungen war und er sich wieder in die Renovierungsarbeiten gestürzt hatte. Aber die Nächte bereiteten ihm nach wie vor große Schwierigkeiten. Obwohl Livia tief und fest schlief, lag er selbst wach und wartete. Lauschte in die Dunkelheit.
Livia schien nicht darunter zu leiden, im Schlaf zu sprechen, im Gegenteil. Aber sie hatte in letzter Zeit häufiger Bilder mit nach Hause gebracht, die sie in der Vorschule gezeichnet hatte. Auf den meisten war eine Frau mit gelben Haaren zu sehen, die manchmal vor einem blauen Meer und manchmal vor einem roten Haus stand. Mit krakeligen Buchstaben hatte Livia MAMA darübergeschrieben.
Fast jeden Morgen und jeden Abend fragte sie ihren Vater, wann denn Katrine nach Hause kommen würde. Und Joakim antwortete immer: »Ich weiß es nicht.«
Auf der anderen Seite der Landstraße verlief eine alte Steinmauer, über die sie kletterten. Dann standen sie am Rand einer flachen, grauen Landschaft mit Teichen zwischen Pfaden aus Schilfrohr und blassgelben Grasbüscheln. Das Wasser in den Teichen war schwarz und stehend, man konnte unmöglich schätzen, wie tief es war.
»Das hier nennt man ein Moor«, erklärte Joakim.
»Kann man hier ertrinken?«, fragte Livia.
Sie steckte einen Ast tief in eine schlammige Pfütze und bemerkte gar nicht, dass Joakim bei der Frage versteinerte.
»Nein … nur, wenn man nicht schwimmen kann.«
»Ich kann schwimmen!«, triumphierte Livia.
Sie war im Sommer viermal beim Schwimmunterricht in Stockholm gewesen, bevor sie umgezogen waren.
Plötzlich schrie Gabriel laut auf und begann zu weinen – er war im Moor eingesunken und steckte mit seinen Gummistiefeln fest. Der lehmige Boden gab mit einem lauten, enttäuschten Schmatzen nach, als Joakim ihn herauszog. Er stellte Gabriel auf festen Untergrund und ließ seinen Blick über das schwarze Wassergleiten. Da erinnerte er sich an eine Geschichte, die ihm
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