Nebelsturm
der Makler bei der Hofbesichtigung von Åludden erzählt hatte, als sie an dem Moor vorbeigefahren waren.
»Wisst ihr eigentlich, was man hier in der Eisenzeit gemacht hat?«, fragte er seine Kinder. »Vor vielen, vielen Hunderten von Jahren?«
»Was denn?«, wollte Livia neugierig wissen.
»Ich habe gehört, dass man in dem Moor den Göttern Sachen geopfert hat.«
»Geopfert … was ist das?«
»Das heißt, dass man Dingen weggibt, die man gerne hat«, erklärte Joakim. »Damit man umso mehr dafür geschenkt bekommt.«
»Was haben die denn weggegeben?«, fragte Livia.
»Silber und Gold, Schwerter und so was. Man hat die Sachen ins Wasser geworfen, als Geschenke für die Götter.«
Laut Makler gehörten auch Tier- und Menschenopfer zu den Ritualen – aber solche Details waren definitiv nichts für Kinderohren.
»Warum denn?«, hakte Livia nach.
»Ich weiß es nicht genau … aber man hat damals wohl daran geglaubt, dass diese Opfer die Götter froh machten und sie einem dann das eigene Leben leichter machen würden.«
»Was waren das denn für Götter?«
»Heidnische Götter.«
»Und was ist das?«
»Tja, das sind … das waren ein bisschen gemeine Götter«, stotterte Joakim, der in Religionsgeschichte nicht besonders bewandert war. »Wikingergötter, so wie Odin und Freya. Und Naturgötter, die in der Erde und in den Bäumen leben. Aber die gibt es nicht mehr.«
»Warum nicht?«
»Weil die Menschen aufgehört haben, an sie zu glauben«, sagte Joakim. »Komm, lasst uns weitergehen. Willst du in den Tragesitz, Gabriel?«
Sein Sohn schüttelte den Kopf und hüpfte wieder hinter Livia her. Ein schmaler Pfad, dessen Untergrund trockener war, führte am Moor entlang, und sie folgten ihm nach Norden. Hinter dem Moor schlossen sich Felder und Wiesen an, und dahinter lag Rörby, dessen weißer Kirchturm in den Horizont ragte.
Joakim wäre gerne noch weitergegangen, aber als sie die Wiesen erreicht hatten, wurde das Tempo der Kinder deutlich langsamer. Er nahm den Rucksack ab.
»So, jetzt machen wir ein Picknick.«
Es dauerte weniger als eine Viertelstunde, bis die Thermoskanne mit heißer Schokolade geleert und die belegten Brote aufgegessen waren. Es war vollkommen still um sie herum. Joakim wusste, dass die Gegend ein Vogelschutzgebiet war, konnte aber keinen einzigen Vogel entdecken.
Nach dem Picknick wanderten sie wieder zurück zur Landstraße. Joakim entschied sich für einen Trampelpfad, der an dem kleinen Wäldchen nordwestlich von Åludden entlangführte. Das Wäldchen bestand hauptsächlich aus niedrig gewachsenen Kiefern, die sich zur Inselmitte bogen, abgewandt von den harten, auflandigen Winden. Wie fast alle Wälder, die er bisher auf der Insel gesehen hatte. Zwischen den Bäumen im Unterholz wuchsen Haselsträucher und Weißdorn.
Sie gingen auf das Meer zu und spürten sofort, dass der Wind steifer und kälter wurde. Die Sonne stand schon tief, und der Himmel hatte seinen blauen Glanz verloren.
»Da ist das Wrack!«, rief Livia, als sie den Strand fast erreicht hatten.
»Wrack!«, wiederholte Gabriel.
»Können wir dahin, Papa?«
Aus der Ferne sah es wie ein Schiffsrumpf aus, wenn man sich dem Wrack jedoch näherte, war es eigentlich nur noch ein Haufen geborstener Planken. Das einzig Unverwüstliche war der Kiel; ein gebogener, mächtiger Holzbalken, der zur Hälfte im Sand begraben lag.
Livia und Gabriel umrundeten das Wrack, kehrten aber bald enttäuscht zurück.
»Das lässt sich nicht mehr reparieren«, befand Livia traurig.
»Nein, das ist am Ende!«
»Sind alle ertrunken, die auf dem Schiff war?«
Sie redete in letzter Zeit oft von Ertrunkenen, fand Joakim.
»Nein, die konnten sich retten. Denen haben bestimmt die Leuchtturmwärter an Land geholfen.«
Sie liefen über den feuchten Sand zurück nach Süden. Die Wellen schlugen an den Strand, Livia und Gabriel versuchten, ihnen so nah wie möglich zu kommen, ohne nasse Füße zu bekommen. Wenn eine größere Welle nach ihnen greifen wollte, sprangen sie kreischend und lachend davon.
Eine Viertelstunde später hatten sie die Steinmole erreicht, die als Schutz für die Leuchttürme gebaut worden war. Livia lief auf sie zu und kletterte auf den ersten Felsbrocken.
Diesen Weg hatte auch Katrine vor Kurzem genommen. Die Mole entlang bis an ihr Ende und hinunter ins Wasser.
»Geh da bitte nicht rauf, Livia«, rief Joakim.
Sie drehte sich zu ihm um.
»Warum nicht?«
»Du könntest ausrutschen.«
»Nee!«
»Doch.
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