Nebeltod auf Norderney
eine junge Frau, die im Heim groß geworden war, deren Vater wegen Mordes an ihrer Mutter lebenslang hinter Gittern saß, hatte ihm der Hausmeister erzählt. Sie hatten für 12 000 Euro sein Familienleben und das Eheglück des Vaters zerstört.
Er fuhr am Leuchtturm vorbei und nahm den Spazier- und Radweg durch die Dünen in die Stadt. Die Ferienzeit ging dem Ende entgegen. Die Cafés und Restaurants waren nur halb gefüllt. Er aß bei einem Italiener auf der Badestraße Spaghetti und radelte nach dem Essen zur Wohnung.
Er holte aus dem Kabuff einen Eimer, die Kehrschaufel und denHandfeger, nahm den Autoschlüssel vom Schlüsselbrett im Korridor, stieg die Treppe nach unten und ging zum Parkplatz.
Mama hatte noch den alten Mercedes von Onkel Jesko gefahren, von dem sie sich nicht hatte trennen wollen. Er war noch hervorragend im Lack und hatte in all den Jahren nichts von seiner Eleganz verloren. Er stand in der prallen Sonne.
Kevin schloss die Tür auf und ließ die überhitzte schlechte Luft abziehen. Er sah sich um, entdeckte aber keine nennenswerte Unordnung und Dreckspuren. Er hatte noch keinen Führerschein und musste noch eine Weile warten, bevor er ein Auto steuern durfte.
Er setzte sich hinter das Steuer und bewegte es hin und her. Dann nahm er den Handfeger und fuhr mit ihm über die Fußmatten. Er verschloss die Türen und ging wieder nach oben.
Die Wohnung sah schon anders aus. Sein Vater hatte zuletzt in ihr gewohnt. Es war sicherlich seinem Stress über Mutters ungewissen Verbleib zuzuordnen, dass er sie nicht ordentlich verlassen hatte.
Kevin machte sich an die Arbeit. Er überzog die Betten mit frischen Laken und Bezügen, putzte mit einem Feudel den Korridor, entfernte die verblühten Blumen, packte die schmutzige Wäsche in seinen Rucksack, verschloss die Wohnung, ging nach unten, spannte sein Gepäck unter die Klammer und radelte zum Schiff.
Kevin war mit dem Verlauf des Wochenendes nicht unzufrieden. Papas Erfolge in Aachen fielen dabei ins Gewicht. Nicht minder erfüllte ihn mit Stolz, dass er den Kriminalbeamten Freddo Meyers kennen gelernt hatte, wenn auch der Anlass dazu recht denkwürdig war.
Morgen musste er wieder zur Schule. Da würden seine Mitschüler und Lehrer nach dem Stand der Polizeirecherchen fragen. Solche und ähnliche Gedanken gingen Kevin durch den Kopf, als er das Fahrrad an Deck der Frisia IV abgestellt hatte und im Restaurationsdeck einen Kaffee trank.
Er nahm das Handy zur Hand und rief von Bord seinen Vater an. Er bekam ihn in die Leitung. Sein Vater teilte ihm kurz mit, dass er gerade einen Rastplatz hinter Bad Bentheim ansteuere und sich auf der Heimreise befinde.
Kevin sah durch das Fenster die Fischkutter, die im Licht der tief stehenden Sonne von Norddeich kamen und zum Fang ausliefen. Er hatte damit begonnen, über Gott nachzudenken. Die Zeiten waren vorbei, in denen er sich den lieben Gott als gütigen, grauen Mann mit Bart und riesigem Notizbuch vorgestellt hatte. Es fiel ihm schwer zu beten, weil er sich vorstellte, dass es für unseren Herrgott unmöglich war, zuzuhören, wenn alleine über achtzig Millionen Deutsche, entsprechend viele Millionen Engländer und Franzosen, abgesehen von den übrigen Völkern, ihn um Gehör anflehten.
Dennoch glaubte Kevin, dass es etwas Höheres gab, das unserem Menschsein einen tieferen Sinn gab und von uns Rechenschaft über unser irdisches Leben forderte. Auch glaubte er, dass die zweite Mama jetzt bei seiner ersten Mama im Jenseits war und sie ihn sehen könnten. Ihnen wollte er in Zukunft mit guten schulischen Leistungen Freude bereiten.
Das Schiff näherte sich dem Anleger in Norddeich. Kevin suchte das Autodeck auf. Noch immer bevölkerten bei dem herrlichen Spätsommerwetter viele Menschen den Hafen und schauten dem Anlegemanöver zu. Dann rollten die ersten Autos von Bord. Nach der Fahrscheinkontrolle folgten auch die Fahrradfahrer.
Kevin radelte am Hotel Fährhaus vorbei, nahm die Abkürzung über den Bahndamm, passierte den Fischteich und fuhr nach Norden. Er kannte die Schleichwege, die über Lütetsburg, Hage nach Berumbur führten.
Sein Herz schlug höher, als er den BMW seines Vaters vor dem Hause stehen sah. Er sprang vom Fahrrad, schob es in den Schuppen und eilte zur Haustür. Er betrat die Küche und fiel seinem Vater um den Hals.
»Papa, gut dass du wieder da bist«, schluchzte er.
Auch Albert Spatfeld hatte Tränen in den Augen. Er strich Kevin mit der Rechten über den Kopf.
»Sie haben noch
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