Nebeltod auf Norderney
aus diesem Grunde im Wilhelmshavener Untersuchungsgefängnis saß. Sie sparten nicht mit anzüglichen Bemerkungen über ihn und wussten nicht, dass Heide diejenige war, die seine schweren Verfehlungen aufgedeckt hatte.
Der Zwiespalt, auf der einen Seite die Verfehlung des Menschen angezeigt zu haben, den sie geliebt hatte, und auf der anderen Seite die Anforderung des Gewissens, der sie als Lehrerin gefolgt war, setzte sie unter Druck und veränderte ihr Leben.
Als sie nach den Osterferien wieder in ihrer Heimat ankam, fuhr sie direkt nach Baltrum und suchte Trost bei ihren Eltern. Sie mied das Haus 456 und erfuhr vom Inselmakler, dass es zum Verkauf angeboten wurde.
Es fiel ihr nicht leicht, Dodo Wilbert zu vergessen. Abends weinte sie oft in die Kissen. Er hatte sie ins Unheil gestürzt, denn nie hätte sie es sich verziehen, wenn sie geschwiegen hätte.
Ihre Eltern behandelten sie mit viel Verständnis. Sie wiesen im netten Ton, wenn auch nicht auf die plumpe Art, auf ihr Alter hin. Sie wünschten sich Enkelkinder und wünschten ihr einen Mann. Dabei blieben sie bei allen Versuchen, heimlich Heiratsvermittler zuspielen, erfolglos. Das zählte sowohl für den jungen Architekten, der an einigen Wochenenden seine Absicht verriet und bei den Eltern ein Zimmer mietete, als auch für den Mercedes-Händler, der ihr den Hof machte.
Heide Heynen war wählerisch. Denn nach der Enttäuschung, die sie hinter sich hatte, musste das Herz mitspielen. Natürlich hatte sie ihre Vorstellungen. Er, wenn es einen geben sollte, durfte nicht mittellos sein. Er brauchte nicht schön zu sein, wenn er Schneid und Männlichkeit besaß. Sie mochte keine Duckmäuser und Weicheier.
Jesko Calvis hatte in den Jahren seines Wirkens das ererbte Vermögen seines Vaters vervielfältigt. Hinzu gesellte sich das Erbe der Mutter. Nach ihrem Tod stellte sich heraus, dass ihr Kapital, mit dem sie nach seinen Anweisungen verfahren war, ein immenses Wachstum zu verzeichnen hatte.
Dennoch vermisste er die Mama, und er wusste allzu genau, dass die Jahre gezählt waren und die Zeit beschränkt war, in der man sich an der Liebe ergötzen kann und in der man große Freude an seinen Kindern empfindet. Was Jesko Calvis vermisste, war eine liebende Frau, die ihm ein Kind schenkte. Ihn quälte die Einsamkeit.
Er wusste auch, dass er sich gedulden und dem Schicksal vertrauen musste. Das wünschten ihm auch seine Mitarbeiter. Sie schätzten ihn. Zum Teil hatten sie bereits für seinen Vater gearbeitet. Sie hatten Vertrauen zu ihm und scheuten sich auch nicht, ihm ihre Sorgen mitzuteilen.
So verhielt es sich auch an einem Donnerstag im April, als er um 10 Uhr in seinem Büro in Jever einen Telefonanruf von einer unbekannten Dame erhielt, die ihm aufgeregt mitteilte, dass Frau Sefta Dyzan in einen Verkehrsunfall verwickelt worden war. Sie bat Jesko, Ali Dyzan, den Ehemann, zu benachrichtigen. Er arbeitete in seiner Baukolonne am 5-Sterne-Hotel der »Schlüssel-Gruppe« auf Norderney.
Jesko Calvis setzte sich sofort mit dem Vorarbeiter auf der Insel in Verbindung. Ali Dyzan war ein fleißiger und tüchtiger Handwerker, der schon seit Jahren zu seinen Mitarbeitern zählte. Er wohnteim ostfriesischen Raum. Seine Frau arbeitete selbstständig als Änderungsschneiderin.
Jesko ließ seinen Arbeiter selbst ans Telefon kommen. Er beurlaubte ihn, legte ihm nahe, sofort die nächste Fähre zu nehmen. Doch Ali Dyzan hatte noch ein Problem.
»Wer holt meine Tochter von der Schule ab? Wir wohnen in Hage in Ostfriesland. Die Fähre geht um elf Uhr dreißig. Um zwölf Uhr dreißig erreicht das Schiff Norddeich«, sagte er.
»Fahren Sie zum Krankenhaus in Norden«, sagte Jesko. »Ich hole Ihre Tochter in Hage von der Schule ab und bringe sie zu Ihnen.«
Er verließ sein Büro, stieg in seinen Mercedes und fuhr in das 80 Kilometer entfernt liegende Hage.
Seit Tagen regnete es, und es war noch kein Ende abzusehen. Er fuhr über Wittmund und Dornum nach Hage. Die sonst so schöne Gegend wirkte an diesem Morgen trostlos. Er stellte seinen Wagen vor der Schule ab, folgte den Hinweisschildern und fand zur Schulsekretärin.
Sie zeigte ihm ihr Misstrauen, als er seine Mission vortrug, und benachrichtigte den Direktor. Anhand des Ausweises und der Autopapiere ließ der sich überzeugen und bat seinen Konrektor, Frau Heide Heynen zu vertreten und sie und die Schülerin Hylda Dyzan zu ihm zu schicken.
»Sie verstehen, Herr Calvis, man muss mit allem rechnen«, sagte er zur
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