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Nebeltod auf Norderney

Nebeltod auf Norderney

Titel: Nebeltod auf Norderney Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor J. Reisdorf
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Heynen ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Der Radiomoderator sagte den »Bolero« von Ravel an. Er erfreute sich an der Musik.
    Jesko Calvis steuerte seinen Mercedes über die Umgehung von Wittmund. Vielleicht sehnte sich diese sympathische Lehrerin nach einem Partner und hatte wie er das Alleinsein satt.
    Der Moderator des Senders sagte einen neuen Titel an. Als er in Jever vor seinem Büro parkte, spielten die Berliner Sinfoniker von Richard Wagner den Steuermannschor aus dem »Fliegenden Holländer«.
    Er stieg aus. Trotz des miesen Wetters kam ihm die Welt verzaubert vor.
     
    Albert Spatfeld blieb genügend Zeit, sich auf das Abitur vorzubereiten. Abgesehen von einigen Gefälligkeiten im Haushalt, die aus Gängen in die Wäscherei, zum Bäcker, Schlachter und zum Supermarkt bestanden, ließen die Eltern ihren Sohn in Ruhe. Dafür erwarteten sie als Gegenleistung gute Noten in der Schule.
    Von seinem Taschengeld finanzierte er die Computerspiele, die Musikplatten und die wenigen Bücher, die er las. Er behielt genug Geld über für die Kinobesuche mit seiner Freundin. Der Motorroller war ein Weihnachtsgeschenk gewesen. Die Spritrechnung zahlte sein Vater. Dabei war Albert Spatfeld sehr genügsam und wenn man will auch recht häuslich gewesen.
    Doch das hatte sich schlagartig geändert, seit er diese Carmen Angeniess kennen und – man konnte hinzufügen – lieben gelernt hatte. Maria Spatfeld, seine Mutter, sparte nicht mit Hinweisen in diese Richtung, doch sie wusste, dass sie ihre Worte auf die Goldwaage legen musste, wollte sie ihren Sohn nicht so weit verärgern, dass er das Haus verließ.
    Für sie war es unfassbar und brachte das Ansehen der Familie in Gefahr, dass Albert sich in der »Hött«, dem asozialen Viertel, aufhielt und in der Wohnung des Trinkers sogar nächtigte.
    Rudi Spatfeld hatte nach Absprache mit seiner Frau Handwerker bestellt, die unter dem Walmdach des Bungalows einen Teil des Speichers zu einem Apartment für Carmen Angeniess umbauten. Damit schufen sie für das Mädchen eine Gelegenheit, sich ohne Störung durch den stets alkoholisierten Vater und seine zweifelhafte Saufkumpanin auf das Abitur vorzubereiten. Ein weiterer Grund dieser handwerklichen Maßnahmen war, ihren Sohn an das eigene Haus zu binden. Gleichzeitig nahmen sie damit ihren Bekannten und Nachbarn das Wasser von der Mühle, wenn sie sich über Carmen Angeniess und Albert mokierten.
    Doch auch unter ihrem Dach verlief die Nutzung des neu geschaffenen Wohnraums nicht in ihrem Sinn, wie Rudi und Maria Spatfeld feststellen mussten. Das Apartment blieb nachts ungenutzt, denn Carmen Angeniess schlief mit Albert in dessen Bett zusammen.
    Natürlich besaß Carmen mit ihrem südländischen Aussehen einen exotischen Charme, mit dem sie ihre Mitmenschen fesselte. Sie besaß hübsche Kleider und konnte sich schön machen. Es machte ihr aber andererseits nichts aus, in verwilderten und verdreckten Klamotten herumzurennen, die Wohnung ihres Vaters zu putzen und die leeren Flaschen zu beseitigen.
    Frau Maria Spatfeld gelang es nur sehr schwer, ihren Abscheu vor der Tochter des Arztes zu verbergen. Doch Carmen Angeniess strahlte Herzlichkeit aus und ließ sich nicht in ihrer optimistischen Lebenshaltung beeinträchtigen. Das von ihr und Albert betont zu Schau getragene Phlegma entsprang einerseits der großzügigen Erziehung der Tochter des Trinkers und andererseits der angeborenenkünstlerischen Mentalität von Albert Spatfeld, der schon lange vorher begonnen hatte, die Welt mit anderen Augen zu sehen.
    Albert und Carmen waren froh, als der Termin des Abiturs das Ende der Schulzeit ankündigte. Niemand zweifelte daran, dass sie das Abitur schaffen würden. Und so verhielt es sich. Sie nahmen in der voll besetzten Aula des Gymnasiums aus der Hand des Schulleiters in feierlicher Robe das Reifezeugnis entgegen.
    Selbst Dr. Xaver Angeniess war im tadellosen Anzug erschienen und war sehr stolz auf seine Tochter gewesen, die mit dem Abitur eine lange Familientradition fortsetzte. Dabei besaß sie genügend Vaterliebe, ihm in seiner hoffnungslosen Lage beizustehen. Er wusste, dass er den Kampf mit dem Alkohol verloren hatte.
    Seine gleich gesinnten Saufkumpane hatten mit einer selbst gefertigten Girlande aus buntem Papier die Tür seiner Wohnung geschmückt, und seine Lebensgefährtin hatte mit breiter, ungelenker Schrift »Carmen! Wir gratulieren zum Abitur!« auf ein Stück Pappdeckel geschrieben und oberhalb der Tür an die Hauswand

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