Nebenwirkungen (German Edition)
schlug Nyack die Augen auf. Er versuchte zu sprechen, doch Katie bedeutete ihm zu schweigen, befeuchtete stattdessen seine Lippen, gab ihm ein wenig Wasser zu trinken.
»Er muss so schnell wie möglich zu einem Arzt«, sagte sie zu Paul, der die ganze Zeit mehr oder weniger untätig daneben gestanden hatte mit dem verstörten Tau auf der Schulter. Mrs. Umangua saß zusammengesunken und leise schluchzend auf einem Stuhl neben dem Bett, die Augen starr auf ihren Neffen gerichtet.
»Derdepoort. Célia hat uns empfohlen, bei Notfällen das Spital in Derdepoort aufzusuchen.« Die Mine befand sich nahe an der Grenze. Sie konnten in einer knappen Stunde in der südafrikanischen Stadt sein, die über ein gut eingerichtetes Spital verfügte. Der Transport nach Gaborone würde viel länger dauern.
»Was meinst Du, ist er transportfähig?«, fragte Paul mit zweifelndem Blick auf den Jungen.
»Wir müssen es wagen. Ich kann sonst für nichts garantieren. Seine Wunden könnten sich entzünden. «
»O. K. ich fahre.« Er brauchte nicht lange, um Mrs. Umangua zu überzeugen, ihn als Führerin und Nyacks Krankenschwester zu begleiten. Die nächtliche Fahrt dauerte zwar wesentlich länger, als Paul erwartet hatte, doch schließlich konnte er den Jeep mit seiner heiklen Fracht unversehrt vor dem Eingang des Spitals anhalten. Der diensthabende Arzt konnte Katies Einschätzung bestätigen. Es waren keine lebenswichtigen Organe gefährdet. Der Junge brauchte Ruhe, und die Heilung der Brandwunden würde lange dauern. Der gebrochene Arm konnte nicht gleich operiert werden. Das musste bis zum nächsten Tag warten.
»Selbstverständlich müssen auch die Laboruntersuchungen noch gemacht werden. Morgen Nachmittag werden wir mehr wissen. Ich gehe davon aus, dass wir den Jungen mindestens zwei bis drei Wochen hier behalten müssen.«
»Kann ich bei ihm bleiben?«, fragte Mrs. Umangua ängstlich.
»Für einen oder zwei Tage geht das, aber leider nicht länger, das Haus ist voll. Aber ich denke, es ist gut, wenn Sie heute Nacht bei ihm sind«, antwortete der Arzt.
Paul versprach, am nächsten Tag wieder zu kommen und fuhr im Eiltempo zur Mine zurück. Das Unglück war offensichtlich kein Unfall gewesen, sondern ein massiver Brandanschlag, daher wollte er Katie nicht unnötig lange allein lassen.
Bei seinem nächsten Besuch überraschte ihn Nyack mit fröhlichem Geplapper. Mit dem einen Arm im Gips, dem anderen am Tropf und einem frischen Verband am Kopf sah er zwar reichlich angeschlagen aus, doch seine Augen leuchteten schon wieder wie früher und sein Mundwerk funktionierte offenbar wie geschmiert. Seine Tante versuchte müde, aber glücklich, den Redeschwall zu bremsen, doch der Junge musste alles loswerden. Er erzählte Paul von den Monstern, die er entdeckt hatte, von den vielen Männern, die um die Häuser und sogar auf die Dächer geschlichen waren und schließlich vom Ungeheuer, vom Riesen am Fenster, der ihn fast erwischt hätte.
»Kann ich Sie bitte einen Moment sprechen?«, fragte der Arzt leise, als er zu Paul ans Bett trat. Verwundert folgte er ihm in den Korridor.
»Stimmt irgendwas nicht?«, wollte Paul besorgt wissen.
»Alles in Ordnung mit dem Jungen, keine Sorge. Wir haben da nur im Labor etwas sehr Seltsames entdeckt.« Wie üblich hatte man das Blut des Patienten vorsorglich auf Aids-Viren untersucht. So etwas wie Nyacks Blutbild hatte der Arzt jedoch noch nie gesehen.
»Kurz gesagt, der Junge hat HIV-DNA im Blut, scheint aber kerngesund zu sein. Sein CD4-Quotient entspricht dem eines völlig HIV-freien Menschen. Oder anders ausgedrückt: er hat Aids und gleichzeitig auch wieder nicht.«
»Das verstehe ich nicht. Sind Ihre Tests absolut zuverlässig?«
»An sich schon. Das Resultat ist eindeutig. Bei diesem Befund müssen wir allerdings noch weitere Tests durchführen, die etwas länger dauern«, antwortete der Arzt und fügte nach kurzem Zögern kopfschüttelnd hinzu: »Ich verstehe es auch nicht.«
»Also ist er nicht krank?«
Der Arzt sah Paul ratlos an und zögerte lange mit der Antwort. »Wir glauben es nicht. Warten wir die weiteren Untersuchungen ab.«
Während dieser erstaunlichen, kurzen Unterhaltung keimte ein Verdacht in Paul auf. Wieder im Zimmer, nahm er Mrs. Umangua beiseite und fragte sie leise:
»Ihr Neffe stammt nicht aus Ihrem Dorf, nicht wahr? «
Sie erschrak und schaute ihn lange ängstlich an, bevor sie ebenso leise antwortete: »Nein, seine Eltern sind im anderen Dorf begraben.
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