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Nebenwirkungen (German Edition)

Nebenwirkungen (German Edition)

Titel: Nebenwirkungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Anderegg
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unbedingt einige Papiere kopieren. Könnte ich vielleicht Ihren Kopierer benutzen?« Sie ging zum Schreibtisch und kam mit einem Schlüssel zurück.
    »Klar, den brauchen Sie«, antwortete sie und zeigte ihm den Apparat am Ende des Flurs. Er packte den Bericht und eilte zum Gerät. Als er zurückkehrte, steckte er Bericht und Kopie in die Mappe, die er unauffällig liegen ließ, als sie das Büro zusammen verließen. Nach ein paar Schritten blieb er abrupt stehen und brummte ärgerlich:
    »Ich Trottel. Ich habe die Mappe im Büro vergessen.« Er eilte ins Zimmer zurück, riss hastig den Bericht aus der Tasche, warf ihn auf Heikes Schreibtisch und stand im Nu wieder neben der verblüfften Amélie. Erleichtert schwebte er geradezu die Treppe hinunter, doch quälende Gewissensbisse begannen an ihm zu nagen.
    Ehrfürchtig umrundete er die schwarz glänzende Antiquität mit dem roten Tank in der Tiefgarage. Er warf Amélie einen fragenden Blick zu und setzte sich wie ein verliebter Teenager strahlend auf den Sattel, als sie schmunzelnd nickte.
    »Ich bin gleich wieder da«, sagte sie und entfernte sich flink in einen Nebenraum. Seine Augen wurden groß und sein Kiefer klappte nach unten, als sie nach kurzer Zeit wieder neben ihm stand, Ledermontur übergestreift und Helm in der Hand. Einen zweiten Helm hatte sie unter den Arm geklemmt. Lachend betrachtete sie sein verdutztes Gesicht, gab ihm den zweiten Helm und bemerkte: »Mal sehen, ob er passt.« Er passte - natürlich. Jedenfalls genügte er für eine kurze Spritztour.
    »Ich fahre«, stellte sie klar und setzte sich auf den Sattel. Er nahm begeistert hinter ihr auf der Sitzbank platz und fragte:
    »Wohin entführen Sie mich?«
    »Ich muss kurz im Labor vorbei. Das liegt oben am Königstuhl. Wir fahren dann weiter zum Restaurant. Dort gibt’s eine Terrasse mit schöner Aussicht, da dürfen Sie mich zum Kaffee einladen.«
    »Phantastisch, ich kann's nicht erwarten.« Als sie losfuhr, traute er seinen Ohren nicht. Von diesem Oldtimer hatte er einen Höllenlärm erwartet, doch die Maschine schnurrte nahezu flüsternd durch die Straßen.
    »Neuer Topf. Vorschrift«, rief sie nach hinten. Alles klar; sie hatte offenbar einen schalldämpfenden Auspuff montiert, um nicht vorzeitig aus dem Verkehr gezogen zu werden. Während der rasanten Bergfahrt auf der Waldstraße verrauchte sein schlechtes Gewissen nach und nach. Noch nie hatte er auf dem Rücksitz eines Bikes gesessen, und eben als er langsam Gefallen daran fand, war die Fahrt auch schon zu Ende. Allzu gerne hätte er sich noch etwas länger an diesen schlanken Körper geklammert.
    »Und, wie war's«, fragte sie erwartungsvoll, obwohl sein strahlender Blick Bände sprach.
    »Großartig. Schade, dass es schon vorbei ist.«
    »Sie dürfen ja auch wieder zurück fahren«, tröstete sie ihn spöttisch.
    »Leider nur allzu früh. Ich muss meinen Abendflug noch erreichen.« Er zögerte bevor er mit schiefem Lächeln hinzufügte: »Schön hier oben; mit Ihnen.« Verlegen studierte sie die Speisekarte auf der Terrasse des Restaurants hoch über dem Neckar und der Altstadt von Heidelberg.
    »Mhm - man sieht bis weit in die Rheinebene hinaus«, murmelte sie versonnen, während sie die Brille abnahm, um besser lesen zu können. Die schöne Aussicht ließ Bastien plötzlich kalt, als er nun in ihre großen, dunklen Mandelaugen blickte. Wie verhext starrte er in dieses hinreißende Gesicht, bis sie aufschaute und verirrt fragte:
    »Was?« Betreten senkte er den Blick und antwortete leise:
    »Nichts, entschuldigen Sie. Ihre Augen. Sie haben wunderschöne Augen.« Sie fühlte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss und ärgerte sich über ihr Erröten ebenso, wie sein unerwartetes Kompliment sie freute.
    »Entschuldigen Sie«, wiederholte er unbeholfen, als er ihre Verlegenheit sah, doch sie schüttelte nur den Kopf und wechselte schnell das Thema.
    »Wann müssen Sie wieder abreisen?« Er schaute auf die Uhr.
    »In spätestens zwei Stunden. Also genügend Zeit für ein Stück dieser leckeren Kuchen.« Die Deutschen verstanden das Bäckerhandwerk, das musste er ihnen neidlos zugestehen. Der Bann schien gebrochen, und sie unterhielten sich bei zitronengelber Viktoria-Torte und Schokoladekuchen zwanglos über ihre Biker-Erfahrungen. Bei diesem neutralen Stoff bestand von keiner Seite Gefahr, in ein weiteres Fettnäpfchen zu treten; beide bewegten sich hier auf sicherem Boden.
    »Vielen Dank für den Kuchen«, sagte sie, als sie aufstand.

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