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Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Jemand müsste aber auf die Idee kommen, dass eine dritte Scheibe im Spiel war. Niemand wäre so vermessen. Niemand außer Feldmann.
    Die Fahrt mit dem Aufzug kam ihr endlos vor. Überhaupt schien sich die Zeit wie im Schneckentempo hinzuziehen, als wäre sie in ein plötzliches Schwerefeld geraten. Als sich die Türen öffneten und sie den Ausgang erkennen konnte, spürte sie das Herz in ihrer Brust schlagen. Ihr Blick wanderte zu den Videokameras, die hier überall installiert waren. Jeden Moment erwartete sie das Klingeln der Alarmglocken, doch nichts geschah. Nur ruhig, ermahnte sie sich, es ist beinahe geschafft. Nur noch nach draußen und ab zum Auto. Wie sehr sehnte sie sich danach, endlich im Auto zu sitzen, das Vibrieren des Motors zu spüren und das Poltern des Kopfsteinpflasters.
    Gerade als sie das Gebäude verlassen und auf den Hof hinaustreten wollte, hörte sie hinter sich eine Stimme. »Frau Dr. Peters?«
    Sie fuhr herum. Es war der junge Polizeibeamte. Der mit den Ohren.
    »Haben Sie nicht etwas vergessen?« Hannah stand wie festgefroren. »Vergessen?« Er hielt ein Blatt Papier in die Höhe, das leicht im Wind flatterte.
    »Na, der Entnahmeschein. Ohne den darf ich Sie nicht gehen lassen.«
    Wie hatte sie diesen dämlichen Schein nur vergessen können? Hannahs Puls raste.
    »Kommen Sie«, sagte der Beamte. »Wir erledigen das hier auf der Treppe. Sie scheinen ganz schön in Eile zu sein.« »Ich will endlich Feierabend machen«, sagte Hannah in der Hoffnung, einen Ton zu treffen, den der Mann verstand. »Die Erinnerung an das, was kürzlich hier geschehen ist, war einfach zu viel für mich.«
    »Aber klar doch«, sagte er. »Nur zu verständlich. Unterzeichnen Sie schnell das Papier, dann entlasse ich Sie.«
    Hannah ergriff den Kugelschreiber, füllte den Schein aus und setzte ihren Namen unter das Dokument. Auch wenn der junge Polizist nur freundlich sein wollte, ihr war im Moment nicht zum Plaudern zumute. »Sonst noch etwas?«, fragte sie und gab ihm den Stift zurück.
    »Im Moment nicht«, erwiderte er mit leichter Enttäuschung in der Stimme. »Schönen Tag noch.« Er tippte sich an die Mütze. »Ihnen auch.« Hannah verzog den Mund zu einem Lächeln, dann drehte sie sich um und entfernte sich langsam. Sie spürte die Blicke des Polizisten in ihrem Rücken. Blicke des Polizisten in ihrem Rücken.
    Langsam ging sie über den Hof, betrat den Gehweg und steuerte auf ihren Wagen zu. Mit jedem Schritt wurde ihr leichter ums Herz. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie es wirklich getan hatte. Sie hatte die Himmelsscheibe von Nebra gestohlen. Und wie es schien, würde sie damit durchkommen. Der Austausch würde selbst für einen Fachmann kaum zu erkennen sein. Die Duplikate waren so genau gearbeitet, dass man sie unters Elektronenmikroskop hätte legen müssen, um das Original von der Fälschung zu unterscheiden. Die Tatsache, dass die metallurgischen Untersuchungen abgeschlossen waren, ließ sie hoffen, dass ihr Geheimnis für eine Weile gewahrt blieb. Natürlich hatte sie vor, das Original irgendwann zurückzugeben. Nur wie und wann, darüber hatte sie sich noch keine Gedanken gemacht.
    Sie öffnete die Beifahrertür ihres Wagens und wollte gerade den Koffer auf den Boden stellen, als sie Dr. Moritz Feldmann auf der obersten Treppenstufe gewahrte. Sie sah ihn, und -was noch viel schlimmer war - er sah sie. Er zögerte, als müsse er erst kurz überlegen, ob er Hannah begegnen wollte, dann strich er sich über die grauen Stoppel-haare und kam zu ihr herüber.
    Hannah erstarrte. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte sie, sich einfach ins Auto zu setzen und davonzufahren. Grund genug hatte sie ja. Doch ein solches Verhalten hätte nur sein Misstrauen angestachelt. Feldmann war im Moment der Einzige, der ihr gefährlich werden konnte.
    Sie beschloss zu bleiben und sich ihm zu stellen. »Guten Tag, Herr Dr. Feldmann«, sagte sie und hob ihr Kinn. Er sollte gleich sehen, dass seine Anwesenheit sie keinesfalls einschüchterte. »Auch schon so früh unterwegs?« »So ist es«, sagte er mit schleppender Stimme. »Ich muss auch schon so früh raus. Die Arbeit frisst mich noch auf. Kein Tag, an dem nicht die Polizei vor der Tür steht und irgendetwas wissen will. Keine Ahnung, wie ich bei dem Stress meine täglichen Aufgaben erledigen soll. Ich bin froh, wenn das endlich vorbei ist.« Er schien müde zu sein. Seine geröteten Augen und der Schatten seiner Bartstoppeln

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