Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
Vom Netzwerk:
wurde durcheinandergeredet. »Es ist Walpurgis, da fangen manche Leute eben an durchzudrehen«, kam ein Kommentar aus der Mitte. »Hat man die Häufigkeit der Anrufe mit denen der Vorjahre verglichen?« »Ja, haben wir«, sagte Steffen. »Und das Ergebnis ist überaus aussagekräftig. Wir haben es hier mit einem Faktor von eins zu zehn zu tun. Man kann getrost von einer Massenhysterie sprechen. Ein Fieber scheint die Region erfasst zu haben. Ein Fieber, das immer weiter um sich greift.« »Ja, aber was haben diese Anrufe mit unserem Fall zu tun?«, fragte eine Frau auf der linken Seite. »Ich sehe da keinen unmittelbaren Zusammenhang.«
    »Und doch gibt es ihn«, sagte Ida gegen die allgemeine Unruhe. »Der Zusammenhang sind wir, die Ordnungshüter. Wir stehen zwischen zwei unabhängig voneinander existierenden Sicherheitsrisiken. Ein Fall für sich genommen würde schon ausreichen, sämtliche Sicherheitsorgane im Umkreis von fünfzig Kilometern in erhöhte Alarmbereitschaft zu versetzen. Bei zwei Fällen diesen Ausmaßes müssen wir die Möglichkeit in Betracht ziehen, die Region großräumig abzusperren.« »Was heißt das?«
    Ida lehnte sich zurück. »Das heißt, wir dürfen auf keinen Fall zulassen, dass Walpurgis dieses Jahr stattfindet.«
     
     
46
     
    Hannah öffnete die Tür, holte tief Luft und trat ein. Ein kurzer Blick hinauf zur Videokamera sagte ihr, dass diese in Betrieb war und jede ihrer Bewegungen aufnahm. Sie konnte nur hoffen, dass ihr Plan gelingen würde. Sie legte ihren Koffer auf den Ablagetisch, dann sperrte sie die Gittertür auf, ging hinüber zum Stahlschrank und entnahm ihm das Schubfach mit der Scheibe. Beim Zurückgehen achtete sie darauf, dass sie die Kamera im Rücken hatte. Sie legte das Schubfach ab und öffnete den Deckel des Koffers. Es war von entscheidender Bedeutung, dass sie jetzt keinen Fehler beging. Der Deckel ihres Koffers war zwar geöffnet, versperrte aber den Blick darauf, was sich im Inneren befand. Rasch entfernte sie die Schaumstoffabdeckung über dem zweiten Boden und holte das Duplikat aus seinem Versteck. Dann zog sie sich die Handschuhe über, öffnete das Schubfach und entnahm ihm das Original. Beide, Schubfach und Koffer, standen in einem toten Winkel zur Videokamera. Hannah, die sich während ihrer vielen Jahre in den Lagern der Tuareg einige Taschenspielertricks antrainiert hatte, vertauschte die beiden Scheiben mit einer fließenden Handbewegung. Für einen Außenstehenden musste es so aussehen, als habe sie sich die Originalscheibe nur kurz angesehen und sie dann wieder zurück in das Schubfach gelegt. Dass sie sie in Wirklichkeit vertauscht hatte, würde auf den unscharfen Videos nicht zu erkennen sein. Sie trug das Schubfach, in dem jetzt Strombergs Duplikat war, zurück und öffnete ein zweites Fach. Ihm entnahm sie das Werkstück, an dem Stefan Bartels zuletzt gearbeitet hatte. Es war für den Versand ins Smithsonian Institute in Washington gedacht, war jedoch noch nicht ganz fertig. Bei genauerer Betrachtung war die Lochung am Rand noch nicht perfekt. Auch die Verletzung, die der Scheibe bei ihrer Entdeckung von den Raubgräbern zugefügt worden war, hatte noch nicht ihre endgültige Form. Die Videokamera würde aus dieser Distanz diese Feinheiten nicht bemerken. Sie trug das Fach zum Tisch, nahm das Stück heraus und betrachtete es demonstrativ vor laufender Kamera. Dann wischte sie mit dem Handfeger noch einmal über das Metall. Sie warf einen letzten prüfenden Blick darauf, nickte zufrieden und legte die Kopie in das Geheimversteck unter dem Original, genau an den Platz, an dem zuvor Strombergs Duplikat gelegen hatte. Sie würde dieses Werkstück irgendwann in den nächsten Tagen zu Hause fertigstellen müssen, ehe sie es nach Washington schickte. Sie war zwar nicht ganz so gut wie Bartels, war sich aber sicher, dass die Amerikaner das nicht merken würden. Hannah prüfte den Sitz beider Scheiben, atmete noch einmal tief durch und klappte den Koffer wieder zu. Sie trug das leere Schubfach zurück zum Stahlschrank, füllte noch rasch einen Belegzettel aus und legte ihn an die Stelle, an der zuvor Bartels' Scheibe gelegen hatte. Dann verschloss sie den Stahlschrank wieder und machte sich auf den Weg nach draußen. Ihre Anspannung erreichte einen vorläufigen Höhepunkt. Würde jemand anhand der Videoaufzeichnungen auf die Idee kommen, dass sie einen Diebstahl begangen hatte? So unwahrscheinlich es auch war, ganz auszuschließen war es nicht. Dieser

Weitere Kostenlose Bücher