Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
sich auf alle viere nieder und spürte, noch während er sich fallen ließ, einen Armbrustbolzen nur Zentimeter über seinem Kopf vorübersausen. Er warf einen Blick zu den hinter dem Feuer durcheinanderwimmelnden Männern. Die Ferenczys hatten bereits Fersengeld gegeben. Ion Zirescu hastete zwischen den Wagen hindurch auf den Wald zu. Der Mann, der auf Radu geschossen hatte, machte seine Waffe bereit zu einem weiteren Versuch. Die anderen stolperten ziellos umher, viel zu überrascht, um zu begreifen, was vor sich ging.
Mit einem Satz war Radu am Feuer und bückte sich, um nach einem brennenden Ast zu greifen. Und als der Mann mit der Armbrust seinen Bolzen einlegte, schleuderte er den Scheit wie eine Brandfackel und traf den Mann mitten ins Gesicht. Dessen Bart begann qualmend zu brennen, und schon im nächsten Augenblick stand sein ganzer Kopf in Flammen! Schreiend und um sich schlagend ließ er die Waffe fallen, tanzte wild umher und stürzte schließlich in ein nahe gelegenes Dickicht, in dem er sich hin und her wälzte. Die anderen waren unterdessen alle geflohen. Doch Radu hatte gesehen, wie Ion Reißaus nahm, und wusste, welche Richtung er eingeschlagen hatte.
Der Mond kam hinter den Bäumen am Rand der Lichtung hervor, und als Radu dies sah, ging er auf alle viere nieder und warf heulend den Kopf in den Nacken. Es schien ihm die natürlichste Sache der Welt, auch wenn es grässlich klang. Denn obgleich es das Geheul eines Tieres war, entsprang es doch einer menschlichen Kehle! Er legte all seine seit Langem aufgestauten Emotionen hinein, heulte den Schmerz und die Frustrationen einer gequälten Jugend hinaus und empfand dabei ein monströses Vergnügen. Wie eine Flut brach es aus ihm heraus, die über seinen einstigen Peinigern zusammenschwappte. All die Jahre der Qual fielen von ihm ab, zumindest war der erste Schritt dazu getan.
Denn noch waren Ion Zirescu und die Gebrüder Ferenczy am Leben, und allein diese Tatsache bereitete ihm ungeheure Qualen. Ihr Tod hingegen würde ihm unvergleichliche Lust bereiten. Dann endlich könnte Radu Lykan in tiefster Seele erleichtert aufseufzen – sofern er noch eine Seele besaß. Ah, und der Werwolf wusste schon, was er mit Ion anstellen würde! Denn hin und wieder hatte er einen Traum gehabt, den er nun jedoch eher für eine Erinnerung hielt:
Er lag mit dem Gesicht nach unten auf dem zertrampelten Boden einer Lichtung und hörte wie aus weiter Ferne Stimmen; und doch vernahm er alles ganz deutlich in dem von hellen Lichtblitzen durchzuckten Dunkel, das ihn umgab. Abgesehen von dem entsetzlichen Schmerz in seinem Hinterkopf empfing er keine weiteren Sinneseindrücke. Doch als er die folgenden Worte hörte, kochte er vor Wut, und tief in ihm wuchs das unbezähmbare Verlangen, denjenigen, die da sprachen, bei lebendigem Leib das Herz herauszureißen:
»... Radus Schwester – tot, und ihr habt sie umgebracht! Zu sechst seid ihr über die Kleine hergefallen! Die beiden räudigen Leichname hier, Kherl Fumari und Arlek Bargosi, die Gebrüder Ferenczy, Rakhi und Lagula ... und natürlich ihr zwei!« (Es handelte sich unverkennbar um Giorgios Stimme. Und die Antwort:)
»Es ist nicht allein unsere Schuld! Du hast uns Freiji doch hinterhergeschickt, damit wir ihn kaltmachen. Nun, und in Radus Blick, da lag etwas, das uns verriet, dass er es wusste! Er muss seinen Vater gefunden haben, draußen in den Wäldern. Und das Mädchen ... das war ein Unfall. Sie wollte einfach nicht stillhalten!«
Das war Ion. Und Magdas Tod war für ihn ein »Unfall«, weil sie sich gewehrt hatte, als sie über sie hergefallen waren wie brünftige Tiere!
Ah, aber Tier war nicht gleich Tier, und was nun folgte, würde gewiss kein Unfall sein! Giorgio war tot, Lexandru ebenfalls, aber Ion und die Ferenczys lebten noch. Fürs Erste, zumindest. Abermals stieß Radu sein Geheul aus – heulte seine Blutgier in die Nacht hinaus und einen Eid an die Mondgöttin, die hoch am Himmel ihre Bahn zog: dass er Magda rächen würde, und zwar auf eine Art und Weise, die den Qualen, die sie erlitten hatte, gleichkam! Wie zur Antwort breitete der Mond seinen silbrigen Glanz über die Spur, die Ion Zirescu hinterlassen hatte, als er blindlings durch den Wald hastete, und wies ihm so den Weg ... bis hin zu dem Versteck, in dem der letzte Abkomme jener abscheulichen Sippe sich verbarg.
Später konnte Radu sich kaum noch daran erinnern, wie er ihm gefolgt war, wie er in langen Sätzen durch den finsteren Wald
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