Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
verfallenden Überresten eines uralten Sarges. Erde von der Sternseite, aus der Vampirwelt.
Eines Sarges? Oh, nein ... es waren zwei! Auf dem einen, dem älteren, prangte ein Wappen, das einen Gevierteilten zeigte. Gemäß meinem Gebieter Radu pflegten auf der Sternseite die Drakuls so ihre Feinde zu bestrafen – indem sie sie in Stücke rissen und ihre Eingeweide auf die Geröllebene zwischen den großen Felstürmen niederregnen ließen. Der andere Sarg stammte aus jüngerer Zeit und war vielleicht zwei-, dreihundert Jahre alt. Er trug keine Insignien, sondern lediglich die Initialen »D. D.«. Zweifellos stand das zweite D für Drakul.
Vor Ort kampierten Zigeuner, Szgany Szekely. Anscheinend waren sie den nun abwesenden Drakuls in gewissem Maße hörig. Sie hielten das Schloss in Ordnung und suchten in schlimmen Wintern innerhalb des Gebäudes Schutz. Mich konnten sie auf den ersten Blick nicht ausstehen, aber das machte mir herzlich wenig aus. Sie zerstreuten sich in der Umgebung und ließen mich in Ruhe. Doch bevor ich wieder nach England aufbrach, stieß ich ... auf einen jungen Szekely-Burschen, der ... nicht abgeneigt war, sich mit mir zu unterhalten.
Von ihm erfuhr ich, dass der »Sohn« des großen Bojaren sich mit seinem Gefolge zur selben Zeit, als sein »Vater« seine Reise nach Westen antrat, in den Osten aufgemacht hatte. Egon war also tot, aber sein Sohn – ob Ei- oder Blut-Sohn vermag ich nicht zu sagen – war nach Osten geflohen. Doch »nach Osten« ist recht weit gefasst, und war für mich damals viel zu weit entfernt, um dorthin zu reisen. Wie es scheint, hatte dieser jüngste Drakul die Lektion gelernt, die seine Vorfahren vergessen beziehungsweise missachtet hatten, den Grundsatz nämlich, dass Anonymität ein langes Leben bedeutet. Denn in all den Jahren, die seither vergangen sind, habe ich – außer von Radu, der darauf beharrt, dass zumindest einer von ihnen noch am Leben ist, »D. D.« natürlich – nie wieder etwas von diesen grässlichen Drakuls gehört.
Nun, so viel zu den Drakuls, die ohnehin Radus geringstes Problem darstellten. Seine schlimmsten Gegner waren, nein, sind die Ferenczys! Ich werde dir sagen, was über sie bekannt ist; aber dazu muss ich ein bisschen ausholen ...
Von Anfang an, bereits in der Vampirwelt, war Radu mit dem Ferenczy-Clan verfeindet. Ihre Blutfehde begann, als sie noch Szgany auf der Sonnseite waren, lange bevor sie Lords wurden. Radu war noch ein junger Mann, als die viehischen Ferenczy-Brüder, Lagula und Rakhi, nicht bloß seinen Vater ermordeten, sondern auch seine Schwester – das einzige Geschöpf auf der Sonnseite, das ihm je etwas bedeutet hatte – so lange vergewaltigten, bis sie tot war. Nach ihrem Tod ... war ihm alles gleichgültig. Er lebte nur noch für seine Rache.
Nein, das stimmt nicht ganz. Er war auch ganz vernarrt in eine Wölfin, die mit ihm durch das Hügelland der Sonnseite wanderte, damals in der Zeit, als er ohne Stamm, Familie oder Freunde als Einzelgänger in den Bergen lebte und nur die Sonne ihn wärmte und er des Nachts nur die Sterne zur Orientierung hatte. Radu und seine Wölfin, aye. Aber sie infizierte sich mit dem Vampirismus und entwickelte einen Egel. Als ihr Parasit sie verließ, ging er auf Radu über, der ein stärkerer und intelligenterer Wirt war. So wurde er ein Wamphyri.
Doch nachdem Radu das Gebirge überquert hatte und auf der Sternseite ankam, stellte er fest, dass die Ferenczys bereits vor ihm da waren und als Vampir-Lords über eigene gewaltige Stätten herrschten. Sie setzten ihre Blutfehde fort, und sie wurde Bestandteil der Blutkriege, die die Wamphyri führten. Schließlich besiegte Radu die Ferenczys und tötete die beiden Brüder; zuvor allerdings zeugte Lagula Nonari Grobhand. Die Finger von dessen linker Hand waren zusammengewachsen, sodass sie aussah wie ein Knüppel.
Und so gingen die Blutkriege jahrein, jahraus jahrzehntelang weiter, bis die Sternseite in Blut getränkt war! Am Ende jedoch war der wahre Sieger weder der Hunde-Lord noch der Ferenczy, auch kein Drakul oder sonst ein »gewöhnlicher« Lord. Nein, sondern Shaitan der Ungeborene, Erster aller Vampire, der klug genug war, sie sich einen nach dem anderen zu unterwerfen, nachdem sie durch die Kämpfe geschwächt waren. Als alles vorüber war, verbannte Shaitan sie für das Ungemach, das sie ihm bereitet hatten, und ließ sie in das Tor werfen. So gelangte Radu in diese Welt und diejenigen seiner Feinde, die er am meisten
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