Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
hauchte ihm einen Kuss auf die Wange: »Lass uns abwarten und sehen, was daraus wird, okay?«
Er nickte, ohne etwas darauf zu erwidern.
Schweigend warteten sie, bis das Mädchen kam ...
B. J. war keine zehn Minuten weg, da machte Harry bereits einen Möbiussprung und erstand einen Anrufbeantworter, dazu noch ein Fahrrad, das er sich liefern ließ. Ersteren, damit er seine Anrufe abhören konnte, und Letzteres, um wieder in Form zu kommen; denn er war zu dem Entschluss gelangt, dass er er war und dies wohl einfach akzeptieren musste. Und das ( er, verdammt noch mal) konnte so schlecht auch wieder nicht sein, denn B. J. hatte er durchaus gefallen – und wie!
Erst nachdem das Fahrrad angekommen war, fiel ihm ein, dass er es über die Möbiusroute auch selber hätte heimfahren können. Warum nicht? Er hätte ohne Weiteres eine Seitenstraße entlangradeln, ein Tor heraufbeschwören und es so nach Hause bringen können. Die Koordinaten der Zufahrtsstraße und der Brücke über den Fluss waren ihm bekannt. Dies wäre die einfachste Lösung gewesen und er hätte sich auch noch das Geld für die Lieferung gespart.
Als nächste Station seiner Suche hatte er Nordirland eingeplant. Er wollte sich etwa eine Woche Zeit nehmen, um sich wieder einzuleben und an die neuen Machtverhältnisse zu gewöhnen, eine Liste von Orten erstellen, die es aufzusuchen galt, und dann loslegen. Und er würde nicht länger alleine sein ... jedenfalls nicht, solange er sich zu Hause aufhielt. B. J. würde da sein. Er wusste einfach, dass sie zu ihm kommen würde und er zu ihr gehen konnte. Er vermochte nicht zu sagen, was sich daraus entwickeln würde, und wollte auch nicht darüber nachdenken. Es war eben einfach so.
Der Tag war hell und freundlich geworden. Zwischen Herden weißer Schäfchenwolken zeigte sich die Sonne. Ehe du dich versiehst, kommt der Frühling! , dachte Harry. Zeit für den Frühjahrsputz.
Hatte B. J. das erwähnt? Den Frühjahrsputz? Wahrscheinlich! Wahrscheinlich hatte sie so etwas gesagt wie: dass man im Haus ein bisschen abstauben, putzen und schrubben müsste. Nur konnte er sich nicht mehr daran erinnern. Oder war er selbst vor lauter Scham darauf gekommen, als er ihren Blick beim Eintreten gesehen hatte? Aber falls sie es gewesen war, dann hatte sie unrecht: Hier musste nicht bloß ein bisschen abgestaubt, geputzt und geschrubbt werden! Und erst sein Arbeitszimmer ... von einem »Zimmer« konnte man im Grunde gar nicht reden! Es war ein einziges Durcheinander.
Weshalb also nicht gleich anfangen? Ein bisschen harte Arbeit würde bestimmt auch als Fitnesstraining durchgehen, oder nicht? Vorher allerdings hatte er noch etwas wirklich Wichtiges zu erledigen – er musste dafür sorgen, dass jemand seine Ruhe fand ...
Ausnahmsweise saß Harry einmal warm eingepackt unten am Flussufer. Wichtiger jedoch war die Wärme, die er in seinem Innern fühlte. Seine Mutter spürte die Veränderung sofort, kaum dass sie seine Stimme in ihrem Geist vernahm. »Ich war unartig«, begann er. Dabei konnte sie das Grinsen auf seinem Gesicht geradezu spüren, das allerdings etwas verrutschte, als sie entgegnete:
Auf wie viele Arten, mein Sohn?
»Äh, was den Arzt betrifft. Ich hatte es zwar versprochen, aber ich bin nicht hingegangen. Aber hör zu, was immer das Problem war, jetzt ist es weg.«
Du hast aufgehört zu trinken?
Er nickte. »Ich kann das Zeug nicht mehr ausstehen. Allein schon bei dem Gedanken daran kommt es mir hoch!«
Dann war das also das Letzte, was von Mister Kyle noch übrig war ... und nun bist du es endlich losgeworden. Du hast den letzten Überrest von ihm abgestoßen, und jetzt ist da nur noch Platz für dich. Ich kann spüren, dass du mehr oder weniger mit dir im Reinen bist, mein Sohn. Das glaube ich wenigstens, und ich hoffe, ich habe recht ...
»Ich fühle mich rundum wesentlich besser«, sagte er, doch selbst jetzt war er sich dessen nicht so ganz sicher. Vielleicht bekam sie auch das mit. Selbst als Experte im Umgang mit den Toten – als der Experte, schließlich war er der Necroscope – wusste Harry, wie schwer es war, seiner Mutter etwas vorzumachen.
Und Kyles Talent? Die Sache mit dem Hellsehen?
»Schon seit einer ganzen Weile nicht mehr«, antwortete Harry. »Aber das könnte ein Verlust für mich sein. Ich verstand es zwar nicht, aber es hätte mir durchaus den ein oder anderen Hinweis geben können. Aber Hauptsache, es geht mir ... gut. Und ich bin fest entschlossen, wieder in Form zu kommen.
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