Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
ihn verübt haben sollen.«
»In einer anderen Welt, zu einer anderen Zeit!«, äffte Francesco ihn nach. »Mythen und Legenden – und Lügen, natürlich. Sag mir doch, woher unser lieber Vater das wissen soll! Wie denn? Er kannte ja noch nicht einmal seinen Vater, Waldemar Ferrenzig! Woher also soll er über die Geschichte der Wamphyri Bescheid wissen? Was macht ihn denn zu einem solchen Experten?«
Für die offenkundige Naivität, die Dummheit und kleinliche, streitsüchtige Natur seines Bruders hatte Antonio nur ein trockenes Lächeln übrig. »Jetzt weiß ich, dass du Wortspiele spielst«, sagte er. »Oder bist du wirklich so dumm und streitest nur um des Streitens willen? Unserem ›lieben Vater‹, wie du ihn nennst, standen Jahrhunderte zur Verfügung, um etwas über seine Vorfahren in Erfahrung zu bringen. Ich werde dir jetzt etwas sagen, was du noch nicht weißt, denn damals warst du ja unterwegs in den USA, Rom und Berlin. Es war eine äußerst schwere Zeit.«
»Was, der Zweite Weltkrieg?«
»Genau. Erinnerst du dich noch an die Landung der Amerikaner?«
»Natürlich. Ich war doch dein Mittelsmann, ›Emilio‹ Francezcis Vertreter in Amerika! Wer hat denn die Verhandlungen um Lucianos Freilassung als Ausgleich für eine nicht zu heiße Landung der amerikanischen Invasionstruppen geführt? Und außerdem noch darauf geachtet, dass in unmittelbarer Nähe der Manse Madonie keine Granaten einschlagen!?«
Toni lächelte. »Das war nicht der einzige Gegenstand deiner Verhandlungen. Unser geliebter Vater erzählte mir von einem Plan, den er ausgearbeitet hatte: Es ging um einen schweren Luftangriff auf das von den Nazis besetzte Gebiet in Rumänien nördlich von Ploiesti. Die Bomben mussten haargenau ins Ziel gehen.«
»Ich entsinne mich«, erwiderte Francesco. »Es war ein Geheimtreffen deutscher Top-Strategen angesetzt. Sie kamen zusammen, um dem Krieg, den sie bereits am Verlieren waren, eine neue Wendung zu geben. Das war eine wertvolle Information, und Angelo wollte, dass ich sie den Amerikanern übermittle. Der Ort des Treffens war das Ziel für die Bomber. Anschließend sollten sie abdrehen und die Ölfelder von Ploiesti angreifen. Was ist damit?«
»In der Nacht des 1. August 1943 befand sich nördlich von Ploiesti nicht ein einziger hoher deutscher Offizier«, sagte Toni. »Nur eine kleine Siedlung am Stadtrand, eine Ansammlung herrschaftlicher Häuser und gepflegter Gärten. Und in einem dieser Häuser ... ein Ferenczy!«
»Was?« Francesco legte die Stirn in Falten. »Was sagst du da?«
»Der Bruder unseres Vaters, ein Blutsohn Waldemars, allerdings von einer anderen Mutter – mit anderen Worten: unser Onkel, Francesco! – lebte dort. Und zwar seit Jahrhunderten! Er hieß Faethor und stellte eine Bedrohung dar oder hätte sich unter Umständen dazu entwickeln können. Unser Vater betrieb seine Nachforschungen derart, dass er von Faethor wusste, ohne dass dieser überhaupt eine Ahnung von ihm hatte! Und er ist von so bösartiger Intelligenz, dass er Faethor aus dem Weg räumen ließ, ohne dass jemals jemand auf den Gedanken kommen könnte, er beziehungsweise wir hätten irgendetwas damit zu tun gehabt. Hätte Faethor überlebt, hätte er niemals geahnt, dass die Bomben jener Nacht einzig und allein für ihn bestimmt waren! Aber wie dem auch sein mag, er überlebte ja nicht.«
»Und ich hatte nicht die geringste Ahnung davon!? Ihr habt mir nie etwas gesagt?« Die Falten auf Francescos Stirn wurden tiefer, sein Gesicht noch finsterer. Es sah so aus, als würde er gleich explodieren.
Beschwichtigend hob Toni die Hand. »Du musstest doch die Verhandlungen führen. Du warst unser Verbindungsmann zu den Amerikanern – und anderen. Hättest du Bescheid gewusst, hättest du deine Geschichte bestimmt nicht mit derselben Überzeugungskraft vorgetragen!«
»Ich habe alles für den Tod meines eigenen Onkels vorbereitet?«
»Ehe er etwas über dich herausfinden und deinen Tod arrangieren konnte, ja.«
»Ich weiß nicht, was ich davon halten soll ...«
»Nimm es so, wie es gemeint war. Angelo – er und ich – wollten dich, uns, die Francezcis schützen.«
»Ohne dass ich etwas davon wusste? Die ganzen Jahre ...«
»Du warst jahrelang weg! Und es war nur ein einziger, kleiner Vorfall. Ich wäre gar nicht darauf gekommen, hättest du nicht die Autorität unseres Vaters in derlei Angelegenheiten infrage gestellt. Dabei verhält es sich so, wie ich sage: Er ist eine Autorität, im Wesentlichen
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