Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
mit einem Kopfschütteln und traf im selben Moment eine Entscheidung. Eigentlich sollte dieses Mädchen ein paar Fragen beantworten – wenn schon nicht ihm, so doch der Polizei –; aber immerhin hatte sie ihm das Leben gerettet. »Ich war auch hinter ihnen her.«
»Na ja, jetz’ ham wir se ja! Aber jetzt ... muss ich wirklich gehen ...« Damit machte sie Anstalten, sich an ihm vorbeizuzwängen. Draußen vor der Werkstatt erhellten rötliche Flammen die Nacht und schwarzer Qualm stieg zum Himmel. Mehrere Wagen hielten mit quietschenden Reifen.
Er ergriff sie am Arm. »Beantworten Sie mir noch eine Frage, dann helfe ich Ihnen!« Sie blickte auf die Hand, die sie festhielt. »Ich schaffe Sie hier raus, versprochen!«
An der Einfahrt wurden rasche Schritte laut.
»Dann aber besser schnell!«, stieß sie hervor.
»Warum waren Sie hinter ihm her?«
»Und warum Sie?« Sie entzog sich ihm mit erstaunlicher Kraft.
»Die Kerle haben Freunde von mir umgebracht.«
»... und Freunde von mir ... bedroht. Aber jetzt ist es zu spät, hier abzuhauen!«
Harry langte hinter sich und legte den Hauptschalter um. In der Werkstatt wurde es stockdunkel. Anschließend beschwor er ein Möbiustor herauf und schob das Mädchen hindurch. »Wohin?«, wollte er wissen.
Ihre Gedanken hallten so laut wider, als würde jemand einen riesigen Gong anschlagen: WAS? ... WAS? ...WAS?
Pssst! , machte Harry. Halten Sie sich einfach an mir fest und sagen Sie mir, wohin ich Sie bringen soll. Wohin wollen Sie?
Sie umklammerte ihn und drückte sich so eng an ihn, wie sie nur konnte. »Ganz egal, irgendwohin, bloß weg von hier! «, flüsterte sie heiser. Allerdings klang ihr Flüstern in der allumfassenden Leere des Möbius-Kontinuums wie ein Schrei.
Also begab er sich mit ihr an einen Ort, den er kannte, verließ das Kontinuum und stützte sie so lange, bis sie festen Boden unter den Füßen spürte und aufhörte zu beben. Als sie langsam wieder die Augen aufschlug ... geriet sie ins Wanken und setzte sich abrupt ...
... auf die regennassen Pflastersteine der Seitenstraße direkt gegenüber der Werkstatt. Doch es hatte aufgehört zu regnen; leichte Nebelschleier waberten wie ein milchiger Fluss knöcheltief durch die Gasse und krochen in die Nischen der Hauseingänge. Das plötzliche Auftauchen des Necroscopen hatte sie aufgewirbelt.
Harry wollte vorerst keine weiteren Fragen mehr beantworten. Aber vielleicht hatte er später ein paar Fragen an sie. »Leider muss ich jetzt gehen«, sagte er. »Wie kann ich Sie wiederfinden? Ich meine, falls ich ... oder ... falls Sie ... dies wünschen?«
Er hielt ihr die Hand hin und half ihr auf. »Das ... das glaub’ ich nich!«, stieß sie hervor. »Was da passiert ist! Ich kann’s nich fassen!« Hilflos fuhr sie mit den Händen über ihre Oberschenkel und wischte sich das Wasser von ihrem nassen Hosenboden.
»Ich muss jetzt wirklich los«, sagte Harry, bereits im Begriff, die Gasse entlangzugehen, weg von der im rötlichen Feuerschein lodernden Straße.
»Im B. J.’s«, flüsterte sie. »Du findest mich im B. J.’s«
»Oh?« Von der im Dunkeln liegenden Schwelle des Hintereingangs zu einem Lagerhaus blickte Harry noch einmal zurück und neigte fragend den Kopf zur Seite.
»Ein Weinlokal – in Edinburgh! Es gehört mir!« Sie hatte die Lippen leicht geöffnet. Ihre Worte waren kaum mehr als ein Hauch.
Aber Harry hatte genug von Abkürzungen, A. C.s und R. L.s,
B. J.s eingeschlossen. »Wofür steht das? B. J., meine ich?«
»Eh?« Ihr Mund stand noch immer offen und sah einfach zauberhaft aus. »Oh, meine Initialen? Für Bonnie Jean.«
Der Name kam ihm irgendwie bekannt vor. Im Fernsehen hatte er einmal ein Musical gesehen, damals, als er noch die Wohnung in Hartlepool hatte – wie lange war das jetzt her? Nun fiel ihm auch der Titel wieder ein, und ein paar Zeilen aus einem Lied:
Geh’ nach Haus, geh’ nach Haus,
geh’ nach Haus mit Bonnie Jean.
Geh’ nach Haus, geh’ nach Haus,
ich geh’ nach Haus mit Bonnie Jean.
Nun ja, vielleicht ... aber nicht heute Nacht, Bonnie Jean. »So wie in Brigadoon?«, fragte er.
Offensichtlich begriff sie sofort, was er meinte. Fürs Erste nahm sie jedoch hin, dass das Ganze einfach reichlich merkwürdig war, schloss den Mund wieder und lächelte, wenn auch etwas unsicher. »Aye, mein tapferer Held, genau wie in Brigadoon. Und wie heißt du ...?« Für einen Moment wurde sie von einem Streifenwagen abgelenkt, der mit heulender Sirene und
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