Neferets Fluch ( House of Night Novelle )
Mutters Tod zu tun pflegte. Jedes Mal vereitelte Vater mein Vorhaben. Beim ersten Mal beobachtete Vater, der sich später als üblich zu seinen Pflichten in der Bank aufgemacht hatte, wie ich im Sattel meines vernachlässigten Fahrrades davonstrampelte. Er kam nicht auf die Straße und rief mich zurück. Nein. Er schickte mir Carson nach. Rot wie ein reifer Apfel rannte der arme alte Kammerdiener die South Prairie Avenue entlang, um mich einzuholen.
»Fahrradfahren ist keine Fortbewegung für eine Dame!«, hatte Vater getobt, als ich Carson widerwillig nach Hause gefolgt war.
»Aber Mutter hatte nie etwas dagegen, wenn ich Fahrrad fuhr. Sie hat mir sogar erlaubt, wie Camille und die anderen Mädchen in den Hermes Bicycle Club einzutreten!«, hatte ich protestiert.
»Deine Mutter ist tot, und du bist nicht länger wie die anderen Mädchen.« Vaters Blick war an meinem Körper heruntergewandert, an dem ich meine schlichten Radfahr-Bloomers und zweckmäßige, unverzierte flache Lederschuhe trug. »Was du da trägst, ist anstößig.«
»Vater, alle Mädchen tragen zum Radfahren Bloomers.«
Er musterte mich weiter. Seine Augen verbrannten mich von der Taille abwärts. Ich musste die Hände an den Seiten ballen, um nicht schützend die Arme um mich zu schlingen. »Man sieht die Form deines Körpers – deiner Beine.« Er klang merkwürdig, atemlos.
Mein Magen verkrampfte sich. »Ich – ich werde sie nicht mehr tragen«, hörte ich mich sagen.
»Das will ich hoffen. Sie sind unanständig – zutiefst unanständig.« Endlich ließ sein heißer Blick von mir ab. Er drückte sich den Hut fest auf den Kopf und verneigte sich sardonisch vor mir. »Wir sehen uns beim Dinner, bei dem du dich wie eine zivilisierte Person benehmen und kleiden wirst, die ihrer Position als Dame meines Hauses würdig ist. Hast du mich verstanden?«
»Ja, Vater.«
»Carson!«
»Ja, Sir!« Sein armer Kammerdiener, der sich in einer Ecke des Foyers herumgedrückt hatte, fuhr bei seinem zornigen Befehl zusammen und trippelte hastig herbei wie ein großer alter Käfer.
»Achten Sie darauf, dass Miss Wheiler heute zu Hause bleibt, wohin sie gehört. Und sorgen Sie dafür, dass dieses elende Fahrrad verschwindet.«
»Sehr wohl, Sir. Wie Sie sagen …«, hatte der alte Jammerlappen gestottert und sich verbeugt, während Vater davonmarschierte.
Als Carson und ich allein waren, war sein Blick verzweifelt über den Wandteppich, zum Lüster an der Decke, dann zu Boden geglitten – überallhin, nur nicht in mein Gesicht. »Bitte, Miss Wheiler. Sie wissen, dass ich Sie nicht gehen lassen darf.«
»Ja, ich weiß.« Ich hatte an meiner Lippe genagt und zögernd hinzugefügt: »Carson, statt mein Fahrrad ganz zu entfernen – könnten Sie es aus der Remise nach hinten in den Gartenschuppen bringen? Das wird Vater nicht bemerken, er geht ja nie dorthin. Ich bin sicher, bald wird er mit sich reden lassen und mir erlauben, in meinen Club zurückzukehren.«
»Das würde ich gern tun, Miss, wirklich. Aber ich darf Mr. Wheilers Befehlen nicht zuwiderhandeln. Niemals.«
Ich drehte mich auf dem Absatz um und schlug die Tür des Salons, der nun der meine war, hinter mir zu. Ich war nicht einmal richtig wütend auf Carson und gab ihm auch keine Schuld. Ich wusste nur zu gut, wie es war, nach Vaters Pfeife tanzen zu müssen.
An jenem Abend zog ich zum Dinner mein hochgeschlossenstes Kleid an. Vater schenkte mir kaum einen Blick, sondern ließ sich wortreich über die Bank, die prekäre finanzielle Lage der Stadt und die bedrohlich naherückende Weltausstellung aus. Ich sprach kaum ein Wort, nickte nur bescheiden und machte zustimmende Geräusche. Er trank ein Glas gewässerten Weins nach dem anderen und aß dazu ein ganzes noch blutiges Lammkarree.
Erst als er aufstand und mir eine gute Nacht wünschte, glitt sein Blick an mir herunter. Trotz der Verdünnung hatte er genug Wein getrunken, dass seine Wangen gerötet waren.
»Gute Nacht, Vater«, sagte ich schnell.
Sein Blick versengte meine Augen, dann meine Lippen. Ich presste diese zusammen und wünschte, sie wären weniger voll und rot. Dann brannte sein Blick sich in mein züchtiges Mieder.
Mit einem Mal sah er mir abrupt wieder in die Augen. »Sag der Köchin, sie soll ruhig öfter Lamm zubereiten. Sie muss nur darauf achten, dass es wieder so kurz gebraten ist wie heute Abend – ich stelle fest, dass das sehr nach meinem Geschmack ist.«
»Ja, Vater.« Ich sprach bewusst leise und sanft.
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