Neferets Fluch ( House of Night Novelle )
Schatten der Nacht alles verhüllten. Voller Unrast lief ich in meinem Zimmer hin und her, bis der beinahe volle Mond sich vom Horizont erhoben hatte. Dann schlich ich mich still hinaus, viel langsamer, als mein Herz meinen Füßen gern befohlen hätte – doch ich wusste, dass ich vorsichtiger sein musste als je zuvor. Meine Freiheit war in Reichweite. Jetzt entdeckt zu werden, und sei es auch nur von einem der Diener, würde alles, was ich mit solcher Mühe arrangiert hatte, aufs Spiel setzen.
Vielleicht hätte ich in meinem Zimmer bleiben und darauf vertrauen sollen, dass Arthur sein Wort halten würde, doch die schlichte Wahrheit war, dass ich ihn sehen musste. Ich sehnte mich nach seiner Gutherzigkeit, seiner Kraft, danach, durch seine Berührung wieder etwas Wärme und Sanftmut in mir zu spüren. Von Tag zu Tag war meine Spannung gewachsen, und trotz Vaters Abwesenheit stiegen immer düsterere Vorahnungen in mir auf, je näher der Montag rückte. Am Montag sollten meine Ängste und Leiden ein Ende finden, doch ich konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass mir etwas bevorstand, was so schrecklich war, dass meine Vorstellungskraft keinen Namen dafür fand.
Ich versuchte, meine bösen Ahnungen beiseitezuschieben, mich auf das zu konzentrieren, was in meiner Macht lag zu tun – was meinem Verstand begreifbar war –, und verwandte viel Sorgfalt darauf, mich anzukleiden, im Bewusstsein, dass ich Arthur unverrückbar für mich gewinnen musste. Ich wählte mein feinstes Nachtgewand, ein zartrosa Leinenhemd, das so weich war, dass es sich auf meiner nackten Haut wie Seide anfühlte. Aus dem Schrank meiner Mutter borgte ich mir deren feinsten Hausmantel aus. Natürlich bestand er aus Samt von derselben Farbe wie unser beider Augen. Vor dem Spiegel wickelte ich mich fest darin ein und legte mir den Gürtel mit den goldenen Troddeln so fest um, dass meine schmale Taille einen schönen Kontrast zu meinen vollen Brüsten und Hüften bildete. Doch sorgte ich dafür, dass er zu einer Schleife gebunden war, die sich ganz leicht, wie zufällig, lösen ließ. Mein Haar kämmte ich so lange, bis es herrlich glänzte, und ließ es als dichte kastanienfarbene Woge frei und ohne weiteren Schmuck über meinen Rücken fallen.
Am Gartenweg pflückte ich eine duftende Lilie in voller Blüte. Ehe ich sie durch den Riegel auf der Außenseite der Gartenpforte wand, riss ich ein Blütenblatt aus und rieb damit über meinen Nacken, die Stelle zwischen meinen Brüsten und meine Handgelenke. Dann setzte ich mich auf meine Bank und wartete, gehüllt in den süßen Duft der Lilien und die behütenden Schatten der Nacht.
Im Nachhinein glaube ich nicht, dass ich lange warten musste. Der Mond, weiß und leuchtend, hing noch immer tief über dem Horizont, als ich hörte, wie sich die Gartentür öffnete und knirschende Schritte auf dem Kiesweg näher eilten.
Es war mir unmöglich, so still sitzen zu bleiben, wie es schicklich gewesen wäre. Ich sprang auf und glaubte mit den Füßen kaum das Frühlingsgras zu berühren, als ich zum Rand meines Weidenvorhangs eilte, um meinen Geliebten, meinen Retter, meinen Heiland zu empfangen.
»Arthur!«
Seine Arme umschlangen mich, und seine ersehnte Stimme klang in meinen Ohren wie eine Sinfonie. »Meine liebste Emily! Geht es dir gut? Bist du wohlauf?«
»Nun, da du hier bist, könnte es mir nicht besser gehen!« Lachend hob ich den Kopf und bot ihm meine Lippen dar. Arthur küsste mich und zog mich sogar enger an sich, doch als ich bemerkte, wie sein Körper sich immer mehr anspannte, löste er unsere Umarmung, verneigte sich mit einem unsicheren Lachen förmlich vor mir und bot mir seinen Arm.
»Meine Dame, darf ich Sie an Ihren Platz begleiten?«
Ich warf mein volles Haar zurück und knickste mit einem schelmischen Lächeln. »Oh, bitte, gern, guter Herr. Und auch wenn es dreist von mir erscheinen mag, sollten Sie wissen, dass ich Ihnen heute Abend all meine Tänze reserviert habe.«
Da lachte er wieder, weniger nervös als zuvor, und ich klammerte mich nicht zu fest an seinen Arm, sondern gab ihm die Gelegenheit, die Fassung wiederzugewinnen, während er mich zu der Bank geleitete. Hand in Hand setzten wir uns. Als er meine Hand ein wenig anhob und sanft küsste, seufzte ich wohlig.
»Erzähl mir, wie es dir ergangen ist. Seit ich dich zuletzt sah, ist kein Moment vergangen, an dem du nicht in meinen Gedanken warst«, sagte er so ernst und klang dabei so jung, dass es mir beinahe Angst
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